Liebe oder Tod
Michael Seibel • Aki Kaurismäkis I Hired a Contract Killer
(Last Update: 02.02.2015)
Nach 25 Jahren ist der Film längst ein Klassiker. Wer die Gelegenheit dazu hat, sollte ihn sich noch einmal anschauen.
In Aki Kaurismäkis Tragikomödie 'I Hired a Contract Killer' von 1990 lebt ein alleinstehender Mann mittleren Alters, Henri
Boulanger, man sieht ihn den ganzen Film über nur in ein und
demselben grauen Anzug mit grauer Krawatte, unauffällig, fast
ausdruckslos und diszipliniert einen gleichförmigen, ärmlichen
Alltag. Seine möblierte Wohnung enthält so gut wie nichts
außer ein paar verbrauchten Möbeln und einem Gasherd.
Seine Fürsorge gilt zwei welken Blumentöpfen auf dem Dach,
die er nach der Arbeit gießt.
Jean-Pierre Léaud spielt die Rolle des Henri Boulanger und wirkt dabei
ein wenig wie Buster Keaton, so als seien ihm die Dinge enteilt.
Als
er nach 15 Arbeitsjahren seinen stumpfsinnigen Job beim Wasserwerk
verliert, weil man Ausländer wie ihn entlässt, sieht er
keinen Sinn mehr darin, weiterzuleben. Fremd ist er eingezogen, fremd
zieht er wieder aus. Er versucht zwei mal halbherzig und ziemlich
ungeschickt, sich umzubringen, hat aber letztlich nicht den Mut dazu.
In
einer heruntergekommenen Bar in einer Abrissgegend trifft er auf
Leute, bei denen er einen Auftragsmörder bestellt, der ihn für
1.000 Pfund umbringen soll.
Zum
ersten Mal in seinem Leben wird er später in einer zweiten Bar
Alkohol trinken und eine Blumenverkäuferin, Margaret, mehr
auffordern als bitten, mit ihm zu sprechen. Sie fragt ihn, warum sie
das tun sollte. Er kann keinen Grund außer seiner Bedürftigkeit
nennen. Die Liebe, die sich aus diesem Geständnis in kürzester
Zeit entwickelt, ist bedingungslos, kommt fast ohne Worte aus, ist
zärtlich, zweifellos beidseitig und über jeden Zweifel
erhaben.
Die
Liebe versieht in ihrer Reinheit beider Leben schlagartig mit Sinn,
was natürlich dazu führt, dass Henri den Mordauftrag gegen
sich selbst stornieren möchte. Das jedoch ist ihm nicht möglich,
da die Bar, in der er den Auftrag erteilt hat, soeben abgerissen
wurde.
Inzwischen
haben wir auch den Killer als einen lungenkranken, zutiefst
resignierten Mann kennengelernt, der gleichsam aus Pflichtgefühl
zu morden bereit ist, um durch die Einnahme die Lage seiner
Hinterbliebenen zu verbessern.
Nach
einer kurzen Reihe von im Grunde unerheblichen Verwicklungen wird
Henri von seinem Auftragsmörder gestellt. Diese finale Szene ist
wie der ganze Film von großer Ruhe. Meine Beschreibung des
Plots hat fast mehr Worte als im ganzen Film gesprochen werden. Der
Auftragskiller wird in einem Akt der Selbstbefreiung im letzten
Augenblick vertragsbrüchig und erschießt, darin mutiger
als Henri, sich selbst und erlöst sich dadurch vom
enttäuschenden Leben.
Im
ganzen Film fällt kaum ein lautes Wort. Kein Anzeichen von
Scham. Nur Traurigkeit und Müdigkeit. Der Film erzählt ohne
Angst von Liebe und Verzweiflung. Niemand versucht irgendjemanden zu
täuschen. Jeder schaut jedem in die Augen.
Kaurismäki
ist Meister der Reduktion, der Wegräumung des Bedeutungslosen,
was Requisiten und Ausstattung, den Plot insgesamt, aber auch Wort
für Wort den gesprochenen Text und den sparsamen Einsatz von
Affekten und Gesten der Akteure angeht. Eine intime, nie distanzlose
Welt. Es wird nur das gezeigt, was unverzichtbar ist, um die
Geschichte zu erzählen. Dem wenigen aber wird Zeit gegeben, dem
Versuch der Selbstbehauptung durch die Entscheidung für den Tod
und der radikalen Revision dieser Entscheidung durch die Zärtlichkeit
einer bedingungslosen Liebe. Dabei lässt Kaurismäki dem
Betrachter reichlich Zeit zu verstehen, was es zu sehen gibt.
Kaurismäki
spricht voller Sympathie von dem, was immer grau bleiben wird. Er
umgibt dieses Grau mit den Mitteln seiner Film-Ästhetik mit
einem Gehäuse aus Farben, Musik und Ruhe, oder um es mit einem
Schlüsselwort der Philosophie Kants zu sagen:
er gibt ihm
Würde.
Würde, das ist der Moment, von dem man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll.
Auf der Suche nach einem Killer
Anderswo neu beginnen?
Der Showdown
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