Tragödie der Gemeinschaft und der Kultur
Franz Rieder • Der Konsument im Modell, epistemologische Fragwürdigkeiten (nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 01.06.2019)
Wer in der realen Marktwirtschaft interessiert sich für
Gleichgewichte?
Wir haben gezeigt, dass es in einer
Marktwirtschaft wie wir sie verstehen, um eine Praxis geht, die sich
schnell an veränderte Rahmen- und Wettbewerbsbedingungen
anzupassen versucht. Wenn Präferenzen sich ändern und dies
geschieht in modernen Gesellschaften sehr schnell, werden nicht nur
Produktionsprozesse angepasst. Neuen Produktionsprozessen auf der
Grundlage von transnationalen Wertschöpfungsketten folgen
veränderte logistische Prozesse, neue Formen der Informations-
und Datenverarbeitung, veränderte Absatzkonzepte usw. wie dies
exemplarisch die Modebranche im letzten Jahrzehnt deutlich hat werden
lassen.
Hinzu kommen zahlreiche Schocks wie die Finanzkrise,
geopolitische Gefahren und Veränderungen, von denen weder die
Finanzmärkte noch die Wertschöpfung und der Handel
unberührt bleiben, sowie zahlreiche und weitreichende
technologische und wissenschaftliche Innovationen, an die sich die
wirtschaftlich Handelnden anpassen bzw. daraus neue Geschäftsfelder
bis hin zu neuen Geschäftsmodellen entwickeln müssen. Was
niemanden dabei interessiert, ist ein Gleichgewicht.
Was die wirtschaftlich Handelnden viel mehr interessiert, oft auch unfreiwillig, sind die ökonomischen wie nicht-ökonomischen Kräfte, die aus den intermediären Phasen geregelter und reproduzierbarer Prozesse hinaus streben. Dort mitzugehen, mitzuhalten, mitzugestalten steht im Fokus, der mitnichten eine freiwillige, autonome Angelegenheit eines einzelnen oder aller Handelnden allein ist, sondern der sich für alle Handelnden unterschiedlich aufdrängt aus dem vielschichtigen Geschehen der komplexen Kräfteverhältnisse wirtschaftlicher und impersonaler Prozesse, zu denen sowohl politische wie auch kulturelle selbstverständlich gehören.
Wenn die Neoklassik die Hauptkonzentration darin ausmacht, wie durch Preis- und Mengenberechnungen ein Markt- und Kosten-Nutzen-Gleichgewicht erreicht werden kann, interessieren die in einer Marktwirtschaft real Handelnden jene Kräfte, die überhaupt und wesentlich zu Preisveränderungen wie zu nominellen und strukturellen Erlös- und Gewinnveränderungen führen bzw. führen können. Und dabei hilft die viel diskutierte und hoch überschätzte Ceteris-Paribus-Klausel wenig wie auch die Anwendung eines Pareto-Optimums dort, wo jede Rechnung versagt, weil unternehmerisches Risiko beginnt, kontraindiziert wäre.
Marktwirtschaft sucht keine statischen Zustände, richtet sich ungern in „vollkommenen“ Märkten ein. Immer findet sich ein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell einen statischen Zustand in Frage stellt, die letzte, die entscheidende Schrippe ins leere Regal legt. Kein Gleichgewicht charakterisiert die marktwirtschaftlichen Prozesse, sondern deren permanente Veränderung. Dem widerspricht nicht, dass es so etwas wie Gleichgewichtspreise gibt, dass zwischen Angebot und Nachfrage vorübergehend ein ausgeglichenes Verhältnis besteht. Gemessen am Gesamtprozess der Wirtschaftsentwicklung in den letzten fünfzig Jahren sind solche Gleichgewichte ephemere Zustände, kaum zeitlich benennbare Phasen. Welche Empirie hinter allen neoklassischen Berechnungen will das widerlegen?
Gleichgewichte
deuten rein volkswirtschaftlich betrachtet auf Protektion, auf
Konzentration, Monopolisierung, Kartelle und Korruption.
Marktwirtschaften sind polypol. Was die Neoklassik also beschreibt,
sind eher Plan- als Marktwirtschaften. Nie sah man Planwirtschaften
ohne Monopole, vielleicht gerade noch Oligopole. Nie hatten
Planwirtschaften ein Wirtschaftssubjekt wie den homo oeconomicus
innerhalb der Arbeiterklasse, fand man Polypole unter den
Genossenschaften und „Volkseigenen Betrieben“ (VEB). In
Marktwirtschaften findet man das alles gleichzeitig und
nebeneinander.
In Planwirtschaften musste sich bislang keiner
Gedanken machen, weder in der Produktion noch als Konsument, wie
lange ein Zustand bleibt, sogar im Gleichgewicht bleibt. In
Marktwirtschaften gehören solche Gedanken zum täglich Brot
der Handelnden. Durch Gleichgewichtsanalysen gewonnene Aussagen wie
etwa die, dass ein Produzent, der billiger produziert als seine
aktuellen Wettbewerber, seine Waren jedoch zum gleichen Preis wie
diese verkauft, höchst wahrscheinlich auch höhere Gewinne
einfährt und damit eine Produzentenrente kassiert, ist weiß
Gott weder eine subtile noch schwer zu erratende Erkenntnis.
In Marktwirtschaften aber treibt ihn die Frage, wie lange seine Mitbewerber wohl brauchen, um ähnlich oder sogar effizienter zu produzieren und so das gerade noch stabile Angebot erweitern, die eben noch kalkulierte Produzentenrente gegen Null schrumpfen lassen und den Gleichgewichtspreis vielleicht sogar so nachhaltig in Ungleichgewicht bringen, dass mit der Verringerung der Preise seine gestern noch gelobten Produktionsverfahren und die damit verbundene Produktivität unterirdisch werden und sein Unternehmen dahin, also in den Abgrund ziehen. Von solchen Gedanken ist Planwirtschaft solange frei, bis mit dem „Geschäftsmodell“ das „Staatsmodell“ perdu ist.
Für uns ist die Produzentenrente insofern von Interesse, als sie Unterschiede in den Produktions- und in den Finanzierungsstrukturen von Unternehmen anzeigt; nicht immer, aber überwiegend. Ob aber ob die Vermutung, denn nichts anderes als eine solche ist sie, stimmt, dass unterschiedliche Produktionsstrukturen und die damit verbundenen Besitz- und Eigentumsverhältnisse, wie dies seit Marx immer wieder behauptet wurde, allein eine hinreichende Bedingung für die Existenz einer Produzentenrente überhaupt ist, diese Frage interessiert uns natürlich auch.
Wir
haben bereits an verschiedenen Stellen den Konnex zwischen Preisen
und Produzentenrente in Frage gestellt und auch darauf hingewiesen,
dass eine Kapitalakkumulation oder eine Gewinnmaximierung allein aus
staatlichen Antrieben heraus nicht gewährleistet werden kann.
Weder durch geldpolitische noch durch fiskalischen Maßnahmen.
Die allein sind unzureichend.
Auch mit den Modellen der
Mikroökonomie kommen wir nicht viel weiter, um festzustellen,
was eo ipso jeder weiß, dass ein politisch gestützter
Preis, der unterhalb oder oberhalb eines Gleichgewichtspreises liegt
in unserem Sinne eine künstliche Stabilität von Angebot und
Nachfrage erzeugt, deren Ungleichgewicht in den staatlichen
Subventionszahlungen bzw. subventionierten Marktbedingungen sich
darstellen lässt.
Es gibt Staaten, die den Preis von bestimmten Waren, etwa Smartphones, festlegen. Liegt dieser oberhalb des Marktpreises, dann wird sich selbstverständlich schnell feststellen lassen, dass immer mehr Menschen ein Smartphone besitzen wollen und immer mehr Unternehmen solche produzieren. Ohne auf den „künstlichen“ Gleichgewichtspreis zu schauen, erschiene alles in bester Ordnung und ist es auch. Die Aufrechterhaltung dieser künstlich stabilen Ordnung ist nur recht teuer und bringt Staaten mitunter in Zahlungsschwierigkeiten, besonders durch die immer schwierigere Refinanzierung auf den Kapitalmärkten.
Dieses Mini-Beispiel soll nur daran erinnern, dass durch Preisänderungen durchaus Mengenänderungen, sowohl was das Angebot wie die Nachfrage angeht, erwirkt werden können. Dies bedingt bilanztechnisch auch durchaus eine Änderung im Umsatz wie auch bei anderen, umsatzbezogenen Bilanzpositionen. Eine wirkliche Wertstellung eines Unternehmens ist so aber noch längst nicht erreicht, im Gegenteil. Wie oft musste man erfahren, dass Unternehmen, die sogar Massenmärkte eine zeitlang mit Waren versorgten, lange, bevor es geschah, bilanztechnisch Pleite waren. Und oft nur durch „fremdes Kapital“ resp. „fremde Absichten“ am Leben erhalten wurden.
Alles das, hätte man auch schon aus dem Werk von Adam Smith herauslesen können, ist also keine Neuheit, zumal es ja in dem gleichnamigen Werk um die Frage nach dem Wohlfahrtsstaat geht. Von der Ökonomie her gesehen, war die „Wealth of Nations“ damals noch ein integraler Bestandteil aller Überlegungen aus volkswirtschaftlichen Ansätzen heraus, an dem sich vor allem das „Kapital“ von Marx noch entzündete. Heute ist sie zu einem „externen“ Faktor geworden.
Mit der Erfindung des vollkommenen Marktes in dem der homo oeconomicus als Wirtschaftssubjekt die entscheidende Rolle spielt, wurden alle externen, also nicht ökonomischen Faktoren und damit zugleich die Marktwirtschaft aus den neoklassischen Systemen und deren systemischen Nachfolge-Ideologien exterminiert. Unsere Gläubiger-Schuldner-Kontrakte ebenso wie ständig sich verändernde, persönliche Präferenzen der Wirtschaftssubjekte – wir sehen hier, das das Wirtschaftssubjekt im Kern eigentlich nichts anderes ist, als ein wirtschaftliches Residualsubjekt – ebenso wie die zeit- und ortsgebundenen „Bedürfnisvariationen“, die bisweilen sogar rein ökologischer Natur sein können, und schließlich die aus nahezu partieller Informiertheit – ein anderes Wort wäre auch aus reiner Neugier heraus – durchaus rational handelnden Marktteilnehmer, die in unserer heutigen digitalen Euphorie eine Vielzahl von neuen Märkten und Geschäftsmodellen, allein auf dem Feld der sog. Selbstoptimierung mit entstehen lassen.
Der Konsument im Modell
Im Fortgang der bisherigen Themen wäre es nicht inkonsequent,
würden wir jetzt uns näher mit den Präferenzen des
homo oeconomicus beschäftigen. Wir müssten dazu eingehen
auf die einschlägigen Theorien der Entscheidungsfindung und auf
die Beziehung bzw. die Stellung, die der homo oeconomicus in der Welt
der Wirtschaft einnimmt; allein wir glauben nicht, dass dieser
vermeintlich fortschreitende Gedankengang schon den richtigen Weg
gefunden hat. Fragen nach der Wirtschaft in einer sozialen Welt oder
nach der Stellung des „Wirtschaftssubjekts“ in der
Gesellschaft sind aufdringlich, deshalb aber allein noch nicht
richtig begründet.
Wir haben kurz angedeutet, dass wir den
homo oeconomicus in seiner theoretischen Grundverfassung für
nichts mehr als ein „Residualsubjekt“ halten und dies
damit für uns wenig geeignet erscheint, irgend etwas
maßgebliches zu begründen. Dann haben wir darauf
hingewiesen, dass mit dem Begriff der Wohlfahrt eine
gesellschaftliche Ordnung unter dem Primat geld- und
besitzgetriebener Verkehrsformen vorgestellt wird, deren
Ordnungscharakter wie deren inhärenten Systematik uns nicht nur
wenig behagt, sondern auch wissenschaftskritisch opponieren lässt.
Die modellhafte Darstellung und die Begrifflichkeiten der Ökonomik, besonders wie wir sie in der Neoklassik kennen gelernt haben, erschweren eher das Verständnis, als dass sie es erleichtern, verschleiern eher Zusammenhänge, als dass sie sie aufklären. Das Problem der Ökonomik ist nicht die Erfassung der ökonomischen Zusammenhänge, denn die könnte sie weit mehr als augenscheinlich überall in den Blick nehmen. Ihr Problem, ihre Orthodoxie, ist die modellhafte Darstellung der ökonomischen Prozesse und Zusammenhänge und das mit der Darstellung verbundene systemische Vokabular.
Die Frage, ist ein Modell sinnvoll, wenn es die Komplexität der Realität so reduziert, dass die wesentlichen Aspekte von den unwesentlichen getrennt werden, ist bereits eine abgeleitete, eine sekundäre Frage. Denn die Frage an die Ökonomie ist, warum ist ein Modell zum Verständnis ökonomischer Vorgänge überhaupt notwendig?
Und so ist es auch mit dem Wirtschaftssubjekt, dem homo oeconomicus. Dass er unserer Meinung nach und dies nicht ganz unbegründet in der Ökonomik die Existenz eines Residualsubjekts fristet und seine Beschreibung der eines Konsumenten entspricht, welcher am besten voll informiert ist, dazu noch mit den entsprechenden Mitteln der Markenkommunikation seine Entscheidungen für oder gegen den Kauf eines Produktes trifft, der diesen Kauf also einigermaßen nutzenorientiert trifft, nicht zu teuer, nicht zu schlecht oder schädlich, einigermaßen gut gemacht, besser „made in Germany“ etc. also ein Konsument mit vor-aufgeklärter Warenkenntnis und Medientreue, mag seinen Stellenwert für die Ökonomik belegen.
Auch wenn der homo oeconomicus heute in den neueren Modellen mitunter etwas besser wegkommt, besonders, wenn von ihm in soziologischer Hinsicht und Methodik gehandelt wird, so ist und bleibt er doch jener tumbe, wenig von seinen Erfindern geliebte Theorie-Kumpan, dessen sprunghaftes, emotionales Wesen, dessen zeitweise wenig nutzenorientierte Entscheidungsfreiheit mit den Randthemen der Ökonomie, der Absatzwirtschaft und Kommunikation beizukommen sein sollte, dass das verhaltenstheoretische Bild vom konsumierenden Menschen auch weiterhin ins Modell passt.
Auch hier stellt sich aber die Frage, warum und wofür man überhaupt zur Theoriebildung ein Menschenbild braucht? Selbstverständlich werden wir auch weiterhin die Theoriebildung danach abklopfen, welches Modell und welches Menschenbild ihr unterliegen, hat sie doch beides. Damit ist aber nicht zugleich gesagt, dass jede Theoriebildung beides notwendigerweise braucht, schon gar nicht in jeder erdenklichen Weise.
Steht das Bild des homo oeconomicus für ein Modell menschlichen Verhaltens in der Ökonomik, dann lässt es sich einfach beschreiben, wenn man auf die impliziten Verhaltensannahmen fokussiert, mit denen die Ökonomik menschliches Verhalten zu erklären und, theoretisch wichtiger noch, vorherzusagen versucht. Wir sehen, die eigentliche Implikation, nämlich die prinzipielle Vorhersagbarkeit menschlichen Verhaltens, ist weder begründet noch ausreichend problematisiert.
Grenzen wir das Handlungsmodell auf jene Grundannahmen ein, die einen Konsumenten im Wirtschaftsprozess kennzeichnen und überprüfen wir, ob dann die Annahmen zu mehr Erklärung und Begründung führen, müssen wir aber auch hierbei die gleiche Implikation im Auge behalten, nämlich dass Konsumentenverhalten prinzipiell vorhersagbar ist. So zählen verschiedene, untergeordnete Implikationen zum Handlungs- bzw. Entscheidungsmodell eines Konsumenten.
Zuerst haben wir die Selbstreferenzialität der Nutzen- bzw. Präferenzfunktion als handlungs- und entscheidungsleitend moniert. Ein Bezug dieser Funktion auf soziale und kulturelle Einflüsse bestünde nicht.
Dann kritisierten wir die Einschränkung der Entscheidungsfunktion auf eine rein auf die Wahl bzw. Kaufentscheidung bezogenen rationale Problemorientierung. Die unterstellt, dass der homo oeconomicus seine Präferenzen wie die gesamten Wahl-Alternativen, die für seine Entscheidung relevant sind, immer und rechtzeitig, also nahe am Entscheidungspunkt kennt, weil er sonst seine Wahl weder richtig treffen könnte, noch diese Wahl als für ihn richtig bewerten könnte.
Drittens
trennt die Volkswirtschaftslehre strikt Präferenzen von
Restriktionen. Präferenzen, also die konsumleitende
Nutzenüberlegung, steht immer in einem Handlungsumfeld, das die
Wahl im Kaufprozess beeinflusst. Aus diesem Zusammenspiel von
Wünschen und Restriktionen bzw. den aktuellen Bedingungen der
Wunscherfüllung, muss der Konsument seine Wahl treffen und zwar
eine optimale Wahl, da er sonst à la longue Pleite geht oder
bedrohlich frustriert ist. Wenn nun die Theorie Änderungen im
Konsumentenverhalten beobachtet, dann werden diese Änderungen
einzig und allein auf veränderte Bedingungen zurückgeführt.
Wie wir sahen, muss im Sinne der Theoriebildung die Nutzenfunktion
als stabil angesehen werden. Wenn jemand heute weniger fettes Fleisch
und weniger Zucker als früher kauft, dann erklärt das die
Theorie durch eine Erhöhung der Fleisch- und Zuckerpreise
(Änderung der Restriktionen) und nicht durch ein, möglicherweise
gewachsenes Gesundheitsbewusstsein des Konsumenten (Änderung der
Präferenzen).
Wie also Präferenzen entstehen und sich im
Laufe der Zeit oder sogar spontan wandeln, interessiert die Ökonomik
in der Regel nicht, weil ihre theoretische Modellierung bzw.
empirische Immunisierung des Konsumverhaltens dann nicht mehr
funktionieren würde.
Den
höchsten Grad an Immunisierung gegen jede noch so alltägliche
empirische Erkenntnis ist die Implikation, dass der homo oeconomicus
seine Wahl bzw. Entscheidungen rational trifft. Eine Entscheidung
zwischen Alternativen mit optimaler, nutzenrationaler Orientierung
wäre dann einigermaßen möglich, wenn das Individuum
überhaupt erst einmal über solche rationalen Möglichkeiten
verfügt, mehr aber noch, wenn Lügen, Beeinflussungen,
Manipulationen, Vertragsbruch, Betrug und andere Regelbrüche,
die durchaus alle zu erheblichen, persönlichen Vorteilen führen
können, nicht stattfinden. Und auf alles dies soll der Konsument
sich spontan oder antizipierend einstellen können, was eine
Spreizung seiner geistigen, sozialen wie psychischen Fähigkeiten
voraussetzt, die wohl jeden auseinander reißen würden wie
auch die Theorie, nähme sie diese dissozialen Bedingungen in ihr
Handlungsfeld konsumatorischer Entscheidungsprozesse mit auf.
Weder
handelt der Mensch immer rational, noch ist er nach Kräften
bemüht, dies primär zu tun, sonst würde er nicht
ständig wider jede Rationalität und aus Gewohnheit oder
Markentreue Waren trotz deutlicher Preiserhöhungen in der
gleichen Menge wieder kaufen. Hinzu kommt, dass dem Konsumenten in
der Regel die Konsequenzen seiner Entscheidungen selten bewusst sind
und damit jede „interne“ Grundlage zur
Entscheidungskorrektur mit Lerneffekt fehlt.
So
sehr der homo oeconomicus auch ein subjektivistisches Konstrukt, eine
idealtypische Fiktion oder ein Simulacrum ist, so sehr widerspricht
sein Verhalten situativ. Um dem zu entgehen, hat die Ökonomik
heute auf den homo oeconomicus als eine strikte wie tatsächliche
Annahme verzichtet und ist übergegangen, auch von ihm als eine
Form wahrscheinlichen Verhaltens, also eines dehnbaren Musters zu
sprechen. Aber was ist damit gewonnen, dass man nun nicht mehr vom
Konsumenten ein tatsächlich rationales Verhalten erwartet,
sondern nur noch ein tendenziell rationales Verhalten, welches sich
in der Betrachtung aller Verhaltensweisen dann als dominantes
Verhalten herausstellt? Im Kern nichts.
Das rationale Verhalten
muss, abgesehen vom Einzelfall, nun im Durchschnitt wahrscheinlich
deutlich dominant sein, wenn die Ökonomik ihre Erklärungs-
und Prognosekraft für die Praxis nicht verlieren will. Sonst
wäre eine idealtypische Beschreibung ein wertloses Simulacrum,
wenn nicht angenommen werden könnte, dass das menschliche
Verhalten tatsächlich mit einer gewissen Häufigkeit diesem
Modell auch entspricht. Man kommt einfach nicht um das Modell herum.
Dann
haben wir uns eingehend mit dem methodischen Individualismus
beschäftigt und gesehen, dass der auch eine Implikation für
den homo oeconomicus abgibt. In der Folge des methodischen
Individualismus haben wir pointiert, dass es darin keine Art der
Beziehung zwischen politischen und nicht-politischen Institutionen,
Unternehmungen, sozialen Gruppen und Formen semi-soziologischer
Beziehungen geben kann, nicht einmal familiale Einflüsse auf das
Verhalten von Individuen, im Gegenteil. Nur Individuen werden
betrachtet als Subjekte, also als Menschen, von denen Handlungen
ausgehen. Nur Individuen also haben Ziele, Strategien, Interessen.
Von strukturellen Zusammenhängen in Institutionen z.B., von
Geschichte und Kultur, von impersonalen Normen und Gesetzen, von
einem Unternehmen im Wettbewerb als kostitutiver Gesamtzusammenhang
wirtschaftlicher Praxis u.v.a.m. will die Ökonomik wenig
wissen.
Was sie fokussiert ist, dass der homo oeconomicus sein
Ziel, welches darin besteht, den größtmöglichen
Nutzen aus seinem wirtschaftlichen Verhalten zu ziehen, auch in einer
restriktiven Umgebung zu erreichen versucht. Indem er sich diesen
Restriktionen und deren möglichen Veränderungen ständig
auf’s Neue anpasst. Stets wird er den höchsten,
materiellen Nutzen aus den sich ihm bietenden Alternativen anstreben.
Nur eine Einschränkung macht die moderne Ökonomik, die Abwesenheit von Diktaturen bzw. diktatorischen Prozessen wird vorausgesetzt.
Epistemologische Fragwürdigkeiten
Wir haben das Modell der Neoklassik und seine Implikationen kennen gelernt. Der methodische Individualismus bestimmt das Individuum als Subjekt oder Ausgang – man kann auch sagen, als „Anfang“ – von wirtschaftlichen Handlungen. Ausgang seiner wirtschaftlichen Verhaltensweisen ist ein Motiv bzw. eine Motivation, nämlich seine rationale Nutzenorientierung. Nun sollte man nicht gleich vorschnell diesen Gedanken beiseite schieben und darauf verweisen, dass Marx etwa ein gänzlich anderes „Subjekt“ vor Augen hatte, nämlich die Arbeiterklasse, deren Motiv die Bekämpfung und Überwindung der Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit sind, die epistemologisch im Sinne der Ökonomik in das Thema der „Wohlfahrt“ gehört. Epistemologisch ist es sicherlich fragwürdig, wie ein Widerspruch ein Handlungsmotiv werden kann, zumal selbst Marx einräumen musste, dass ein Bewusstsein des Widerspruches zwischen Arbeit und Kapital so leicht nicht zu bekommen ist? Jedenfalls nicht, indem man einfach nur seiner Arbeit und seinem Konsum nachgeht1 . Generell sind Motive bzw. Motivationen, unterstellt sie sind auch tatsächlich mit dem folgenden Verhalten ursächlich verbunden, epistemologisch schwierig und fragwürdig.
Denn Motivationen sind lediglich zur Schlussfolgerung sich aufdrängende Phänomene, die sich in empirischen Experimenten erschließen, wie dies die experimentelle Psychologie typischerweise anstellt. Motivationen selbst sind empirisch nicht nachweisbar. Lediglich zu schließen ist auf sie aus phänomenalen Beobachtungen. Und dies gilt generell. Man kann als außenstehender Beobachter aus Verhaltensweisen auf Motivationen schließen; altruistische, faire, egoistische u.a. Motive selbst kann man nicht sehen, mithin also an sich nicht beobachten. Motiv und Verhalten können also einen Konnex haben, mehr nicht. Damit steht der methodische Ansatz des methodischen Individualismus gleich mehrfach in Frage. Einmal sind seine Erklärungen nicht aus empirischen Forschungen entsprungen, zum anderen sind seine Motive nicht begründet, sondern schlichte Behauptungen bzw. nicht einmal wissenschaftlich überprüfte Hypothesen. Das alles wäre zu verschmerzen und würde den arg reduktionistischen Modellentwurf der Neoklassik nicht gleich samt und sonders in Frage stellen, wäre da nicht die theoretische Diskrepanz, die dem Modell selbst inhärent ist. Demnach ist dem Modell des homo oeconomicus inhärent, dass selbst altruistische u.a. Motivationen eben nicht mit altruistischen Verhalten kongruent sind; dies gilt übringens auch umgekehrt, und dass sie aber in einem asymmetrischen Verhältnis zu einander stehen können.
Nicht
selten findet man in der Ökonomik und nicht nur in der
Neoklassik Versuche, sozialpsychologische und kulturelle
Dispositionen evolutionär erklären bzw. begründen zu
wollen. Das ist epistemologischer Unsinn wie auch ein völliges
Missverständnis der evolutionsbiologischen Forschung von Darwin.
Weder Egoismus als gattungsspezifische Form noch Altruismus können
mit Evolution begründet werden. Egoismus als eine Art von
Selbstreferenzialität gattungsspezifischen Verhaltens wäre,
so zu bestimmen versucht, aber nichts anderes als die Vererbung
selbst, also Selbsterhaltung der Gattung und nichts daran konnotiert
damit mit sozialpsychologischen Dispositionen.
Altruismus ist
sogar eine Verhaltensweise, die in jedem evolutionsbiologischen
Modell ein äußerst gravierendes Problem darstellt, weil es
dem Grundsatz der Vererbung ganz generell widerspricht. Die Vererbung
erfolgt phänotypisch, weil nur ein solcher Phänotyp die
Generationsgrenze zu überschreiten vermag, sich also
fortpflanzen kann, wenn genügend zeugungsfähige Nachkommen
der gleichen Art bzw. des gleichen Phänotyps vorhanden
sind.
Würde man nun wie es oft genug geschieht, diesen
Vorgang als Individualismus bezeichnen, hätte man ebenso nichts
anderes bezeichnet, als die Chance der Vererbung durch
gattungsspezifisches Verhalten, also etwas konträr Verschiedenes
zum Individualismus als sozialpsychologische und kulturelle
Disposition.
Wenn wir in diesem Zusammenhang von sozialpsychologischen und kulturellen Dispositionen2 sprechen, dann bestimmen wir damit keine „Persönlichkeitseigenschaften“ als eine Art Anlage zu einer immer wieder auftretenden Verhaltensbereitschaft noch eine schicksalhafte oder ‚dispositio omnipotens‘. Wir bestimmen Dispositionen schlicht als soziale, psychologische oder kulturelle Ermöglichungsform, also etwas, was die Bedingung dafür, das etwas möglich ist, in sozialen, kulturellen oder psychologischen Realitäten hat, auch, um den Unterschied zu Restriktionen klar zu markieren, die in allen diesen Zusammenhängen auftauchen können und defacto auch präsent sind. Wenn wir von Dispositionen in ökonomischen Kontexten sprechen, dann greifen wir auf die Arbeiten von Erich Kosiol (1962)3 zurück, der den sinnvollen und weitreichenden Unterschied zwischen zweckgerichteten Handlungen in „Strukturierung“ und „Disposition“ auf Unternehmensebene herausgearbeitet hat, wobei er die Grenzen zwischen Organisation, Planung, Disposition und Improvisation, die unter dem Oberbegriff „Ordnung“ zusammengefasst werden können, als fließend betrachtete. Wir pointieren dabei weniger die Tatsache, dass die Grenzen zwischen Disposition im Sinne von planbarer Tätigkeit und Organisationsstruktur, die die Planung gleichsam restriktiv behandelt, allein schon, weil jede Organisation auch einen hohen Grad an Nachvollziehbarkeit und Kontrolle von Entscheidungen und Verantwortlichkeiten beinhaltet. Wir weisen vielmehr darauf hin, dass jedes Unternehmen wie auch jeder Markt asymmetrische Strukturen und Prozesse4 aufweist, aus denen heraus sich beide, Unternehmen wie Märkte, besser verstehen lassen, als durch phantasievolle Gleichgewichte.
Auch wenn unter
betrieblicher Disposition heute durch Digitalisierung betrieblicher
Abläufe und Prozesse neue Formen der betrieblichen Organisation
und teilweise auch neue Formen angegliederter Geschäftsbereiche-
und modelle entstehen, hat die betriebliche Disposition nicht an
Aktualität verloren; im Gegenteil. Durch die anfallenden
Datenmengen und Auswertungsmöglichkeiten wird dem neoklassischen
Wirtschaftssubjekt sozusagen der Boden unter den schwachen Beinchen
entzogen. Insofern er Akteur im betrieblichen Ablauf ist, erschüttert
Big Data seine Funktion zwischen Informationen und Prognosen. Die
Diskrepanz zwischen der klassischen Informationsverarbeitung und der
Prognosemöglichkeit aus moderner, digitaler Datenverarbeitung
ist bereits heute so groß, dass dahinter der angestammte
Akteur, der Disponent auf allen betrieblichen Ebenen bald
verschwunden sein wird. Aber was bzw. wer kommt danach?
Aber auch
für den Konsumenten, unseren homo oeconomicus bedeutet das, dass
zwischen dem neoklassischen Wirtschaftssubjekt und dem empirischen
Kaufverhalten dieses Dispositiv Big Data implementiert wird, so dass
er seinen eh‘ schon geringen Residualstatus sogar noch zu
verlieren droht an ein neues „Wirtschaftssubjekt“, etwas
unbeholfen noch Digitalisierung und in noch schmahafter Euphorie KI –
Künstliche Intelligenz – genannt. Noch ist die Scham das
Ergebnis nicht eingelöster Versprechen; bis heute. Mit den
Siegeszügen der Künstlichen Intelligenz, also mit der
Kommodifizierung menschlichen Denkens, die heute noch im maschinellen
Lernen in den Kinderschuhen steckt, mithin also noch in der peinlich
überholten Industrialisierung menschlicher Intelligenz und
Kommunikation auf digitaler Prozessbasis steckt, wird aber zunehmend
diese „Scham“ verschwinden und die Schar der stolzen
Apologeten der drastischen Effizienzsprünge durch
Digitalisierung immer lauter.
Diese Vorstellung dreht einem nicht
nur den Magen um. Das ginge ja noch und wäre auch einfach los zu
werden. Es verrückt den Verstand. Und das ist erheblicher.
Frage an die Geschichte
Eine zeitlang herrschte die Ansicht, dass Geschichte und gerade in
ökonomischer Hinsicht, das neue Subjekt sei. Zunächst
übernahm die Evolution die Aufgabe, Geschichte als eine kausale
Folge von ökonomischen Phänomen zu erklären, von
Abläufen, die aus früheren entstanden und die in spätere
übergehen. Der teleologische Rahmen von Geschichte wird auch
heute noch und nicht selten bemüht, vor allem immer dann, wenn
von Motiven bzw. Präferenzen zu sprechen ist, wie wir gerade
sahen.
Dann hilft es auch wenig, wenn am homo oeconomicus –
wie wir dies taten – dessen methodologische wie faktische
Reduktion auf seine selbstreferenziellen Motivationen bei
Kaufentscheidungen moniert würde. Auch wenn wir seine
Selbstbezüglichkeit um die gesamte Palette fremdbezüglicher
Charakterzüge wie Altruismus, Empathie etc. und auch um die
endlosen Strukturen
sozialer, politischer und kultureller Interaktion erweitern würden,
wir hätten stets noch die epistemeologische5
Frage nicht beantwortet, wie wir nämlich überhaupt wissen
können, woher dies alles komme und wie dies alles miteinander in
Beziehung stünde?
Die
Abstraktion in unserer wissenschaftlichen Rationalität braucht
‚einen Vermittler‘, etwas, was die Extreme der
phänomenalen Welt zu einer komplementären Einheit
zusammenbringt, ein geistiges Band gewissermaßen, ohne das uns
die Welt scheinbar aus den Angeln zu fliegen droht. Scheinbar
deshalb, weil es ja nicht bewiesen, nicht wirklich erlebt isz, nicht
tatsächlich auch so sein muss.
Im wirtschaftlichen Kontext –
und Kontextbezogenheit werden wir gleich prominenter noch kennen
lernen – haben wir mit dem marxistischen Begriff des Mehrwerts
bzw. der Mehrwertproduktion und dem des tendenziellen Falls der
Profitrate die komplementären Begriffe für das System der
kapitalistischen Produktion im ersten Ansatz erkannt.
Dem
entsprechen in der modernen Ökonomik, in der Neoklassik, lassen
wir den Monetärkeynesianismus einmal für kurze Zeit außen
vor, der Grenznutzen resp. die Grenzkosten sowie die Kapitalrente.
Pareto wie auch andere linear sowie nicht-linear degressiven
‚Abschreibungsmodellrechnungen‘ geben eben solchen
logisch immanenten Grenzphänomenen einen mathematischen
Ausdruck, wo eine Kosten-Nutzen-Analyse wie auch eine
fortgeschriebene Rechnung von Gewinnmaximierungen unter
Effizienzmaximierungs- oder Kostenminimierungsaspekten vorgestellt
wird. Und über allen grenz-logischen Berechnungen steht die
begriffliche Begründung aus einem Mangel; dem Mangel an
Ressourcen.
Ob
aber damit der „missing link“ der Geschichte schon
gefunden ist, wir sozusagen in den Lauf der „smoking gun“
schon blicken, ist doch einigermaßen zweifelhaft. Ein weiterer
Blick zurück in der Geschichte mag vielleicht Abhilfe
schaffen.
Wir haben bereits ein, für uns das wesentlich
unterscheidende Element marktwirtschaftlicher Praxis in der Dynamik
der Eigentumswirtschaft gefunden. Eigentum, so es in Geld liquidiert
wird und ein Gläubiger-Schuldner-Verhältnis eingeht, dieses
nicht-ökonomische Element, haben wir als die Grundlage
marktwirtschaftlicher Praxis bestimmt. Ein weiteres Element,
etymologisch betrachtet gleichsam als ein sub-komplementäres,
also ein nachrangiges, aber zugleich doch wesentliches Element,
firmiert sowohl bei Marx wie bis heute in die moderne Ökonomik
hinein als Begriff der Kommodifizierung6 .
Bis heute war es nicht gelungen, den Prozess der Kommodifizierung hinreichend zu beschreiben7 . Dass die Liquidierung von Eigentumsrechten in Gläubiger-Schuldner-Kontakten den Vorgang der Vermarktung von Vermögenswerten gleichermaßen wie die marktgängige Erwirtschaftung der Schuld- bzw. Kreditsumme durch den Schuldner anstößt ist bereits umfassend dargelegt worden. Aber damit ist noch nicht die Dynamik der Marktwirtschaft hinreichend beschrieben, die ja gerade darin besteht, eine unglaubliche Fülle an Waren hervorzubringen.
Schlaudts Bestimmung der Kommodifizierung als „(…) i.e.S: Umwandlung eines Guts in eine (ggf. standardisierte) Ware mit einem Marktpreis“(S. 97) lässt einen etwas unbefriedigt zurück, beschreibt sie zwar, dass eine Umwandlung stattfindet, aber nicht wie. Unglücklich hier ist der Begriff des Guts, führt er doch weg vom Eigentum in eine falsche Richtung. Eigentum wird umgewandelt durch Liquidierung in Geld und kein „Gut“. Schlaudts Begriff der „Einhegung“ holt aber dieses Versäumnis nach, insofern er Einhegung als “ (a) Erstmalige Belegung des Guts mit einem Eigentumstitel, ungebachtet des Eigentümers; (b) Ausschluss anderer von der Nutzung;“(ebenda) bestimmt. Ungeachtet der Tautologie, dass natürlich ein Eigentumstitel den Ausschluss anderer von der Nutzung impliziert, insofern dieses Eigentum nicht Gemeineigentum sondern Privateigentum meint – deshalb sprechen wir auch lieber von Privateigentum und auf Privateigentum basierendes Wirtschaften – hat er trotzdem die konstitutive Verfassung des (Privat-) Eigentums im Zitat festgehalten.
Leider unterläuft Schlaudt auch beim Begriff der „Privatisierung“ der gleiche Fehler im Gedankengang, wenn er von der „Übergabe von öffentlicher in privater Hand“ spricht. Privatisierung entspricht so im Kern eigentlich dem Vorgang der Kommodifizierung, lässt sich von jenem kaum unterscheiden. Gleichwohl Privatisierung den Kontext der rechtlichen Überschreibung öffentlicher Besitztümer vor allem in privates Eigentum umfasst, ebenso wie den Verkauf von Staatseigentum an private Personen bzw. Körperschaften privaten Rechts, sowie die Verlagerung von bisher staatlichen Aktivitäten in den privaten Sektor der Wirtschaft, so ist dies alles aber keinesfalls eine Ansammlung einzelner Aktivitäten von Seiten eines Staates, sondern die Konsequenz einer neuen, bürgerlichen Staatsverfassung westlicher Demokratien mit der ihr inhärenten marktwirtschaftlichen Praxis.
Wenden wir uns der Kommodifizierung erneut zu, dann erkennen wir, dass aus der Dynamik der Gläubiger-Schuldner-Kontrakte, also der Kapitalisierung liquidierter Eigentumswerte nicht nur die Marktdynamik getrieben wird, sondern auch andere, angelagerte Veränderungen sich ergeben. Wie der Faktor Arbeit hierbei einzuordnen ist und welchen Stellenwert er bei der Kapitalisierung von Privatvermögen spielt, werden wir später erörtern.
Im Prozess der Kommodifizierung spielen andere Faktoren die wesentlicheren Rollen. Wir sahen dabei den Wettbewerb, vor allem bei der Unternehmensfinanzierung und hier besonders bei den Investitionen in Innovation und Effizienz auf der organisatorischen wie der Ebene der Produktions- und Arbeitsprozesse, beides wesentliche Betsandteile der Produktivität eines Unternehmens, vor dem Faktor Arbeit. Ohne jene, hätte dieser kaum über die vergangenen 150 Jahre eine Entwicklung nehmen können, wie wir dies erlebt haben. Aber nicht die im engeren Sinne ökonomischen Bedingungen spielen die Hauptrolle im Prozess der Kommodifizierung; es sind vielmehr die verfassungsspezifischen, politischen Bedingungen. Das Recht, dass jeder zur Gründung eines Unternehmens Kredite aufnehmen darf, auch Investoren aus anderen Herkunftsländern, als dem Sitz des Unternehmen, steht hier konstitutiv. Dies unterstützt auch leitend die staatlich mit erheblichen Steuernachlässen geförderte Schuldenkonjunktur privatwirtschaftlicher Unternehmen, von den Erwerbstätige ebenso nur träumen können, wie Aktionäre, deren Aktionärsrenten zwar weniger als Erwerbseinkommen grosso modo besteuert werden, aber in einer Art „zweiter“ Steuer dem Zugriff des Fiskus‘ doch ausgesetzt ist., wobei hier noch ein generativer Faktor, die Erbschaftssteuer, mit einbezogen werden muss.
Daran anschließend ist ein weiterer, wichtiger Punkt: die Übertragbarkeit von privaten Schuldtiteln an eine Körperschaft, was durchaus zu der Situation führen kann, dass ein Unternehmer privat für die Gesamtsumme der aufgenommenen Gelder haftet, sein Unternehmen aber als eine „beschränkte Haftung“ rechtlich notiert. Damit also diese Dynamik der Kapitalisierung aus der fast uneingeschränkten Möglichkeit der Warenproduktion stattfinden kann, sind demnach nicht nur uneingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten, sondern auch die Trennung von Haftung und Risiko, ungeachtet des Eigentümers notwendige Voraussetzung. Im juristischen Sinne sind Unternehmen Rechtssubjekte bzw. privatrechtliche Körperschaften. Deren Eigentümer haften in der Höhe ihrer Anteile am Unternehmen nach Aktienrecht oder ganz nach Privatrecht. Geht ein Unternehmer pleite, zieht dies nicht zwangsläufig den Konkurs des Unternehmens nach sich, bzw. kann ein Konkursverwalter das ganze oder Teile des Unternehmens durchaus am Markt erhalten.
Dies darf durchaus als ein verfasster Wille gesamtstaatlicher Wohlfahrtsökonomie verstanden werden, insofern nicht gänzlich der Faktor Arbeit im Köperschaftsrecht und so im Faktor Kapital aufgeht.
Tragödie der Gemeinschaft
1. Akt: Allmende
Eine
historische Brücke zu schlagen zwischen der Praxis der
Kommodifizierung und der Allmende8 ,
insofern die Privatisierung dieser Form gemeinschaftlichen Eigentums
den Anfang bildet für eine fortgeschrittene Marktwirtschaft, ist
unzulässig. Zulässig ist aber der Verweis darauf, dass
Marktwirtschaft keinen Lebensbereich des Menschen per se außerhalb
ihres Zugriffs belässt, ja belassen kann.
Unter ihrem engen
Blickwinkel der wirtschaftlichen Effizienz, haben sich bis heute die
privatwirtschaftlichen Nutzungen gegenüber Formen der
kollektiven Nutzung weitgehend als deutlich überlegen erwiesen.
Überlegen insofern, als in puncto Schnelligkeit der
Kosten-Amortisation und Profitabilität die private Nutzung im
Vorteil ist.
Die Umwandlung eines der allgemeinen Nutzung offen stehenden Areals in eine privatwirtschaftliche Nutzung, wobei festzuhalten ist, dass es nicht um „private“, sondern um durch privatrechtliche Verfügung der wirtschaftlichen Nutzung zugeführt meint, begann bereits im 18. Jhd. und nahm im darauf folgenden enorm an Fahrt auf. Diese Umwandlung, Kommodifizierung (engl. commons), ist leider im geschichtlichen Bewusstsein eng mit der Agrarreform bis heute verbunden geblieben. Die nach englischem Vorbild durchgeführten Flurbereinigungen, auch Separationen, Markenteilung oder Verkoppelungen genannt, standen anfangs Nutzungsberechtigten, meistens ansässigen Bauern zur Verfügung.
Das vormals gemeinschaftlich genutzte Eigentum erschwerte aufgrund der unterschiedlichen Nutzungsberechtigungen eine intensive Bewirtschaftung, die nach der Privatisierung enorme Produktivitätssteigerungen vor allem in England im 18. bis 19.Jhd. verzeichnete. Bis heute gilt die Ansicht, dass die Privatisierung von Allmende gleichbedeutend ist mit höherer Effizienz der Bewirtschaftung und in der Folge mit größerer Produktivität und Rendite.
Was einst nur im Zusammenhang mit der „Gemeinheitsteilung“ resp. Markenteilung stand, firmiert heute als ein generelles Prinzip effizienten Wirtschaftens. Mit der Privatisierung der Allmende hat sich in den westlichen Industrienationen dieses generelle Prinzip der privatrechtlichen Nutzung als die Form effizienteren Wirtschaftens durchgesetzt. Effizienz dominiert also den Diskurs. Und mit der Effizienz ist nicht nur die private Nutzung, sondern auch die Wertschöpfung durch bezahlte Arbeit, also Erwerbsarbeit konnotiert.
Was nicht Erwerbsarbeit ist, ist auch nicht Teil der Wertschöpfung durch Arbeit. Die Ökonomik trennt seit ihrem Beginn schon recht präzise zwischen einem ökonomischen Innenverhältnis und einem nicht-ökonomischen Außenverhältnis. Im Gegensatz zur Erwerbsarbeit steht deshalb auch die unbezahlte resp. die soziale bzw. fürsorgliche Arbeit. Unbezahlte Arbeit (unpaid labor) firmiert heute als ein Sammelbegriff für alle jene Tätigkeiten, die, mittlerweile zwar als produktive Tätigkeiten angesehen werden, als keine entgeltlichen Vergütung erhalten9 .
Soweit
diese Form der Arbeit im Sinne eines gesellschaftlichen Nutzens oder
eines Gemeinwohls als ein politisches Moratorium verstanden wird,
folgen wir der ökonomischen Logik. Dann kann man unbezahlte,
produktive Arbeit einer monetären Bewertung unterziehen und als
virtuelle Wertform definieren, insofern ihr der Wert der von Dritten
bezahlten Löhne und Vergütungen entspricht.
Die
prominentesten Beispiele für diese Art von Arbeit im Sinne
gesellschaftlichen Nutzens bzw. gesellschaftlicher Reproduktion
zählen sicherlich die meist von Frauen erbrachten häuslichen
Leistungen – Ernährung – Erziehung – Pflege –
Haushalt – Bildung (zu großen Teilen sowohl soziale wie
auch geistige bzw. künstlerische Bildung etc.) sowie weite
Bereiche der Kulturarbeit wie das Ehrenamt.
Nicht übersehen werden aber sollte bei dieser monetären Bewertung unbezahlter, produktiver Arbeit als virtuelle Wertform, dass der Preis für die ökonomische Bewertung dieser Tätigkeiten ein ganz anderer als ein monetärer Preis ist. Gesamtgesellschaftlich wie kulturell gesehen ist die Tragödie der ökonomischen Übersetzung wie auch die faktische Transformation von Arbeit vom gesellschaftlichen Nutzen zur privatrechtlichen Nutzung, worin die Allmende ein wichtiges Teilgebiet ist, dass mit der terminologischen Übersetzung und der faktischen Transformation sowohl das Bewusstsein der gemeinschaftlichen Nutzung wie auch die Wirklichkeit kollektiver, am Gemeinwohl orientierter Praxis aus einer anderen, als der ökonomischen Bewertung verschwinden.
Es wäre und ist zu einfach, gleichsam als eine Form residualer Wertform, unbezahlte, produktive Arbeit in bezahlte Arbeit zu verwandeln. Gewiss ist die Überführung von Haus- und Kulturarbeit in eine marktwirtschaftliche Wertform ein willkommenes Gerechtigkeitssubjet im politischen Diskurs, als reelle Wertform aber unter den herrschenden politischen Bedingungen, unter denen Marktwirtschaft stattfindet, aber nicht realisierbar.
Für uns kommt es in diesem Zusammenhang einzig darauf an, die Grenzen der Kapitalisierung an der Grenze zwischen unbezahlter Arbeit zur Reproduktion und kulturellen Entwicklung einer Gesellschaft und bezahlter Erwerbsarbeit aufzuzeigen. Geht die Ökonomik seit dreihundert Jahren bis heute davon aus, dass sich ein Transfer lohnt und dass dieser auch möglich ist, dann ist dieser Ansatz wie das Prinzip der Kommodifizierung, in unserer Terminologie der Kapitalisierung, gleichbedeutend mit marktwirtschaftlicher Produktion. Arbeit firmiert dort als Erwerbsarbeit, die selbst wiederum als handelbare Arbeit einen Marktwert hat, der eine Differenz zwischen erbrachter und von Dritten veräußerter Arbeitswerte, Waren oder Dienstleistungen, definiert.
Bei der häuslichen Arbeit ist die Sachlage einfach. Sie definiert keine Ware, allenfalls eine Art virtueller Ware, deren Markt ebenso ein virtueller Markt ist, auf dem sie ein virtuelles Einkommen im partnerschaftlichen oder Ehe-Kontext bezieht. Würde man, wie dies in den letzten Jahrzehnten des öfteren geschehen, häusliche Arbeit als virtuelle Ware bestimmen, also deren Wert auf der Grundlage eines virtuellen Warentausches wie in der Ökonomik gleich aller Waren auf ihren Geldwert als einheitliches Maß reduzieren, wäre wie in der gesamten Welt der Warenproduktion auch häusliche Arbeit ein Wert, dessen Effizienz unter einer Kosten-Nutzen-Analyse betrachtet werden könnte.
Und dies geschieht ja zunehmend so, wenn soziale Partnerschaften als „Zugewinngemeinschaften“ betrachtet werden. Wir sehen aber recht leicht, dass die „Veräußerung“ einer häuslichen Arbeitskraft nur schwerlich gelingt. Nicht, weil sie virtuell auf einem virtuellen Markt nur stattfindet, sondern weil häusliche Arbeit gar keine Arbeit im privatrechtlichen Sinne sein kann. Auch deshalb nicht, weil sich aus ihr auch keine eigentumsrechtlichen Sachverhalte ableiten lassen wie etwa Privatvermögen und Besitz10 .
Tragödie der Kultur
1. Akt: Allmende
Wie
weit man also den Begriff der Arbeit auch ausweitet und
differenziert, man verlässt damit nicht den Geltungsbereich der
Neoklassik, die Arbeit nur als Erwerbsarbeit, also als monetär
bewertete Arbeit kennt, insofern sie nur diese Form der Arbeit zum
Gegenstand ihrer Analysen zulässt. Virtuell verfährt sie
auch mit nicht-monetär bewerteten Formen der Arbeit
entsprechend, insofern sie diese gleichsam exterminiert und ihren
Effizienz- sowie Kosten-Nutzen-Redchnungen unterzieht.
Arbeit
also, außerhalb der volkwirtschaftlichen Kalkulation, taucht
nicht auf, wäre mit dem gleichlautenden
Begriff Arbeit wie etwa bei Hausarbeit und Kulturarbeit auch sogleich
einer eingeschliffenen, darum verhängnisvollen Assoziation
unterstellt. Wenn wir also von Arbeit sprechen, dann begeben wir uns
in die Immanenz eines, um mit Luhmann11
zu sprechen, geschlossenen Systems der Wirtschaftsterminologie und
-ideologie.
Innerhalb dieses Systems ist Arbeit nicht anders als
eine Übersetzung ihrer Ergebnisse in einer Art „binären
Code“,
in „to
pay or not to pay.“
Gleichwohl
wir keine Freunde von solchen ‚Übersetzungswissenschaften‘
sind, weil wir keinen Erkenntniszuwachs darin erkennen können,
wenn ökonomische Praxis übersetzt wird in die Syntax der
Linguistik bzw. der Neurolinguistik o.ä., mehr aber einen
Beitrag zur Verschleierung von wichtigen Zusammenhängen, so
nehmen wir doch gerne partiell gedankliche Anleihen daran, so sie uns
weiterbringen.
Wie wir bereits im Begriff der Autopoeis vermerkt haben, sind geschlossenen Systeme keine „facta bruta“, sondern epistemologische Phänomene. Ihre geschlossene, zirkuläre und reversible Struktur, die Phänomene wie Sprache, Ökonomie, ja sogar das Denken selbst, hier vorgestellt in der Verbindung von Informations- und Kommunkationstechnologien als ein Universum eigener Gestalt, mit eigenen Regeln, eigener, virtueller „Empirie“ usw. konstituiert, sind insofern nicht ohne eine Form von Herrschaftsstrukturen, als sie grundsätzlich ihre Autonomie behaupten, sich selbst als lediglich auf sich selbst bezogen, also irreversibel und unendlich, d.h. dass ihre epistemologischen Prozesse, die ihre Empirie hervorbringen, einordnen und bedeuten unbegrenzt sind.
Eins der Opfer dieser Herrschaftsstruktur im Begriff der Arbeit war bislang alles, was mit Allmende im Zusammenhang stand. Neben der Hausarbeit war und ist es die sog. Kulturarbeit, die dem Herrschaftszusammenhang, dass nur, was monetär bewertete Arbeit auch tatsächliche Arbeit ist, zum Opfer fällt. Ökonomie bestimmt also nicht nur, was Arbeit ist überhaupt, sondern zugleich damit auch, was überhaupt von einem Wert ist, insofern dieser in einem marktwirtschaftlichen Zusammenhang auftaucht.
Es
wäre zu einfach, hier innezuhalten und zu behaupten, dass
Hausarbeit und Kulturarbeit außerhalb der Marktwirtschaft
stattfinden; dem ist aber nicht so. Auch sie sind dem
Verwertungsprozess auf eine besondere Art ausgesetzt.
Haushaltsführung, Erziehung, Kinder- und Altenbetreuung, Pflege
usw. stehen längst schon in der Teilhabe an
marktwirtschaftlichen Verwertungszusammenhängen
wie auch weite Bereiche der universitären Forschung und Lehre,
der schulischen Weiterbildung und sozialen Integration, der
kulturellen Bildung, Erziehung und Ausbildung in den Bildenden
Künsten usw.
Wir fokussieren in diesem Zusammenhang noch
nicht auf die arbeitspolitischen Bedingungen vor allem in der
kulturellen Bildungsarbeit, die seit der Einführung von den sog.
Bologna-Reformen und den unbefristeten Anschlussverträgen eine
dramatische Veränderung gezeichnet haben12 .
So arbeiten
neuen von zehn wissenschaftlichen Mitarbeitern auf befristeten
Verträgen, jeder zweite Vertrag hat eine Laufzeit von unter
einem Jahr, viele „Arbeitsverhältnisse“ sind
überhaupt nicht vertraglich sanktioniert. Und dies gilt über
alle staatlichen Bildungseinrichtungen hinweg.
Für uns geht es aber im Moment um die Art und Weise wie Haus- und Kulturarbeit epistemologisch Teil des geschlossenen Gesamtsystems Ökonomie und Politik werden können. Dies lässt sich sehr gut am Umgang mit diesen Bereichen unbezahlter, produktiver Arbeit ablesen, der ganz generell diese Form der gesellschaftlichen Reproduktion und Entwicklung über die Methode der „Opportunitätskosten“13 ins ökonomische Kalkül einbezieht.
Terminologisch schon an sich interessant, aber in der Konnotation mit Begriffen wie Schattenpreis, Alternativkosten oder Verzichtskosten erkennen wir schnell die Relation zum Kosten-Nutzen-Kalkül. Darin bilden grosso modo die uns bereits bekannten Wertgrößen wie Grenzkosten und Grenznutzen die Bezugspunkte, sind die Opportunitätskosten gleichsam die Grenzkosten eines, als Opportunität bzw. zum maximalen Nutzen bei minimalen Kosten geschätzten Beitrags zur gesellschaftlichen und kulturellen Reproduktion einer Volkswirtschaft.
Betrachtet
man diese Kosten einmal genauer, dann erkennt man auch ein sich
ständig reproduzierendes Muster, das die Herrschaftsstruktur
dieser Denkfigur logisch-ideologisch und faktisch markiert. Die
Opportunitätskosten der produktiven, unbezahlten Arbeit
innerhalb einer Volkswirtschaft werden als jene Kosten berechnet, die
dem Marktakteur durch eine, meist als persönlich unter freien
Umständen unterstellten, also autonom getroffenen Wahl entgangen
sind.
Bei der Hausarbeit sind dies überwiegend jene
Lohnsummen, die durch Verzicht auf eine Berufstätigkeit des
Marktakteurs – hier fast immer Frauen – entstanden sind.
Dass diese Wahl tatsächlich autonom ist, ist ebenso falsch wie
die Berechnung der Lohnsummen selbst. Denn die historische Situation
der Hausarbeit besteht fundamental darin, dass Frauen selbst in
entwickelten westlichen Industriegesellschaften bis heute noch
erblich weniger an Löhnen und Gehältern verdienen als im
Vergleich zu Männern.
Wenn Frauen also auf ihre Berufstätigkeit „verzichten“ und was noch in Deutschland mit dem perfiden Steuergesetz des Ehegattensplittings untermauert und monetär bzw. fiskalisch gefördert wird, dann ist deren Entscheidung mithin nicht rational, insofern Frauen ja generell weniger verdienen als (ihre) Männer. Die Entscheidung zum „Verzicht“ ist insofern „logisch“ wie die gesellschaftliche, arbeitsmarktpolitische wie fiskalische Situation der Frauen logisch-ideologisch eben tautologisch ist. Die Tautologie dieser logisch-ideologischen wie faktischen Ungleichheit liegt darin, dass man die Methode der Berechnung der Opportunitätskosten anwendet und partout nicht merken will, dass im Vergleich mit z.B. Hausarbeit durch Männer resp. Ehegatten die Opportunitätskosten bei Frauen besser weil geringer ausfallen, da Frauen ja auch generell am Markt, also in der Erwerbsarbeit weniger verdienen. Das Ehegatten-Splitting, oft diskutiert und für verbesserungswürdig gehalten, bestätigt und belohnt also den, ach so autonomen Verzicht auf Erwerbsarbeit der Frauen.
Diese Tautologie als „Logik“ zu verkaufen, ist schon ein übler Treppenwitz der Geschichte, dessen Narrativ noch dadurch verstärkt wird, dass Opportunitätskosten innerhalb der Kostenrechnung der Ökonomik unter dem Blickwinkel von entgangenen Deckungsbeiträgen einer nicht gewählten Handlungsmöglichkeit – hier ebenso als Verzicht auf Erwerbsarbeit vorgestellt – firmieren. Als Deckungsbeiträge betrachtet, d.h. als Berechnung von Preis- bzw. Kostenuntergrenzen vorgestellt, werden so Handlungsmöglichkeiten wie etwa die Alternative zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit mit einander verglichen und unter kosten-analytischer Betrachtung bewertet.
Im
Ergebnis wäre demnach männliche Hausarbeit unter
Kostengesichtspunkten die erheblich teurere Lösung. Als
Alternativkosten innerhalb einer mikroökonomischen
Betrachtungsweise vorgestellt, wenn also Erträge oder Nutzen in
einen Vergleich zur besten, nicht realisierten Handlungsmöglichkeit
gesetzt werden, ist männliche Hausarbeit auch erheblich
unwirtschaftlicher als von Frauen erbracht. Wir erkennen, dass das
Wirtschaftlichkeitsprinzip
an dieser Stellen zwar logisch und richtig männliche Hausarbeit
aufgrund höherer Opportunitätskosten nicht als die beste
Lösung bewertet, sondern konsequent tautologisch auch bei der
Vermeidung von Opportunitätskosten die Herrschaftsstruktur der
ökonomischen Betrachtungsweise in diesem Beispielfall von
Allmende zementiert.
Und was in Wahrheit das
Wirtschaftlichkeitsprinzip ist, stellt sich schnell heraus als eben
jene Metaphysik der Effizienz, als jener Glaube, dass mit einer
Kosten-Nutzen-Rechnung im Ergebnis nicht nur ein monetärer
Betrag herauskommt, sondern auch der damit untermauerte faktische
Beweis für die Richtigkeit einer Handlungsalternative.
Haus – Hof und Kultur
1. Akt: Allmende
Über Handlungsalternativen entscheiden in der Ökonomik Effizienz und Kosten. Im Zusammenhang mit Allmende die Opportunitätskosten. Ein Wort noch zur Allmende: ihre Herkunft aus der Boden- bzw. Argrarreform hat ihren direktren Vorläufer im Begriff des Oikos . Familie und Oikos – das Haus, der Hof – waren in der griechischen Antike die natürlichen Kräfte, dýnasthai, die als Grundlage den gemeinschafts- bzw. staatsbildenden Prozess zu seiner Verwirklichung führen können. Die griechische Philosophie bestimmte schon am Ursprung der Staatsentwicklung die subsistenziellen wie die generativen Grundlagen auch als jene Grundlagen einer materiellen wie individuellen Entwicklung insofern das Individuum seine existenzielle Grundlage in der Generationsfolge hat.
Dabei
war der Prozess der Polis, also der Staatsbildung wie der
Staatsentwicklung abhängig von einem Bereich des
gesellschaftlichen Lebens, vom Oikos. Die daraus sich ergebenden
Fragen, wie der Bereich des Oikos mit dem der Polis zusammenhängen,
in welcher Form der Entwicklung beide einander bedingen, diese Fragen
stellen sich heute in der Ökonomik so gut wie gar nicht
mehr.
Die Bereiche der unbezahlten, produktiven Arbeit wie der der
Erwerbsarbeit sind klar auseinander getreten und haben eigene,
abgetrennte Bereiche mit sehr unterschiedlichen sozialen,
politischen, größtenteils auch juristischen wie
fiskalischen Strukturen ausgebildet.
So haben sich scheinbare
Sachverhalte ausgebildet mit bündigen Argumentationsketten,
wissenschaftlich in zahllosen sozial-wissenschaftlichen wie
ökonomischen Studien fast minutiös und umfassend empirisch
belegt.
Marilyn
Joy Waring, neuseeländische Politikerin und Feministin der erste
Stunde, brachte die Diskussion wieder zurück auf diese
ursprüngliche Bestimmung unbezahlter, aber im Sinne staatlicher,
das heißt hier für die gesellschaftlich wie kulturell
notwendige Entwicklung produktive Arbeit:
„Unpaid
work makes all the rest of work possible,“
says political economist Marilyn Waring, a former New Zealand cabinet
minister and now professor of public policy at the Institute of
Public Policy at AUT University in Auckland. „The
market wouldn’t survive if it wasn’t able to survive on
the backbone of unpaid work.“14
Ohne
diese Form der „Arbeit“ also gäbe es weder die
monetär bewertete, also die Erwerbsarbeit und auch nicht den
Waren- und Gütermarkt. Denn dieser wäre gar nicht
überlebensfähig, gründet er doch faktisch auf diesem
Faktor unbezahlter, produktiver Arbeit, der eine Form der Allmende
darstellt.
Der Begriff Allmende ist also viel zu eng bestimmt als
gemeinschaftlich genutzter Boden, der dann während der
Agrarreform im 18. Jhd. seine vergemeinschaftete Nutzungsform gegen
eine privatrechtliche verloren hat. Und mit dem zunehmenden Verlust
der Allmende übernahm umgekehrt reziprok die Marktwirtschaft als
das bestimmende Element die Suprematie, die Vorherrschaft, eines auf
private, materielle Nutzenoptimierung ausgerichtete Daseinsführung.
Weniger in Europa, mehr aber in den USA und dort im Zuge des Feminismus‘ kamen, zwar eher marginal, aber doch beachtenswert, Fragestellungen auf, die den Gedanken der Allmende weiter hinein in die Ökonomik trieben. Diese Fragestellungen liefen einmal in die Richtung eines Versuches einer durch die neuzeitliche Philosophie inaugurierten neuen Wesensbestimmung der Ware, um so zu einer besseren Bestimmung des Marktes zu gelangen. Zum anderen gab es Versuche, die vorherrschenden Bestimmungen des Marktes aus dem Begriff der Allmende zu hinterfragen.
Die
philosophischen Bestimmungen, prominent durch Nancy Fraser und
Polanyi vorangetrieben, konnten zwar die erkenntnistheoretischen
Schwachstellen der Ökonomik aufzeigen, führten aber
zwangsläufig zu einer Hängepartie von transzendentalen
Überlegungen, denen eine notwendige, makroökonomische
Auseinandersetzung leider in immer weitere Entfernung geriet.
Dass
eine Wesensbestimmung des Marktes Gefahr läuft, ahistorisch zu
bleiben und so wenig Einlasstellen frei gibt, durch Krisen und
tatsächliche Widersprüche zu einer Veränderung der
Marktmechanismen und -strukturen wenigstens hermeneutisch
beizutragen, liegt nahe.
Dass man mit Kant und Hegel durchaus in
der Lage ist zu zeigen, dass der Markt die Bedingungen seiner
Möglichkeit nicht seinen eigenen Gesetzen unterwerfen kann, der
Markt insofern erkenntnistheoretisch ohne transzendentale Legitimität
und somit auch ohne logisch hinreichenden „Grund“ ist,
erschüttert, so wahr dies auch sei, heute wenige15 .
Weniger Frasers Kritik an Polanyi aber ist für uns von Interesse als ihr Hinweis darauf, dass Allmende, zu der sie Land, Arbeit und Geld zählt, nie gänzlich zu Waren werden können. Sie irrt zwar in der Sache, denn Land, Arbeit und Geld sind kommodifiziert, sind den Verwertungsmechanismen der Marktwirtschaft unterworfen, der daraus marktgängige Produkte macht und diese mit Gewinn bzw. Rendite kapitalisiert; dies aber nicht krisenfrei. Die Krisen aber sind nicht direkt mit der Kommodifizierung verknüpft in der Art, dass etwa die Agrarreform eine Krise der Landwirtschaft hervorgebracht hätte; im Gegenteil. Arme, unselbstständige Bauern haben ihre materielle Situation durchaus verbessert, im großen Stil in den USA und in Europa im 20. Jhd., c.p. die Erwerbsarbeit und die Geldwirtschaft.
Die Krisen, die Tragödien, die die privatwirtschaftliche Kapitalisierung jeder Form von Allmende auslöst, sind darin begründet, dass wirtschaftliches Handeln nun nur noch unter Effizienz, Produktivität und Renditezielen stattfindet. Marktwirtschaft tritt nicht nur gegenüber dem Boden, sondern gegenüber der Welt als alleinige Handlungsmöglichkeit auf, wird strukturell cartesianisch. Wie ontologisch voneinander getrennte „Substanzen“ stehen sich Marktwirtschaft und Natur gegenüber, beide scheinbar autonom und grenzenlos. Nicht nur der Boden als solcher oder als Produktionsressource ist zum Wirtschaftsgut geworden. Luft hat ihre Kommodifizierung in den diversen Verschmutzungszertifikaten gefunden und Wasser war eins der ersten Gemeinschaftsgüter, das durch Einhegung bzw. Kanalisierung und Regulation zu einem Wirtschaftsgut geworden ist.
In jeder besonderen Form der industriellen Produktion ist Wachstum, also die Einheit von Effizienz, Produktivität und Rendite, möglich und scheinbar notwendig. Die Natur scheint ein unerschöpflicher Bereich von materiellen Ressourcen zu sein, denen sich die Marktwirtschaft bedient und die ihren Abfall hinreichend und kostengünstig recycelt; und wo nicht, werden Abfall vermieden und natürliche Recyclingprozesse zunehmend nachgeahmt. Daran ändert sich aus nichts, wenn in der Ökonomik alle Ressourcen aus ihrer „Knappheit“, aus einem Mangel betrachtet werden. Weder begründet der Mangel etwas, noch verhindert er grenzenloses Wachstum, allenfalls erschwert er den Zugang zu den Ressourcen über den Preis für nicht wettbewerbsfähige Marktteilnehmer.
Arbeit,
wie wir sehen, ist nicht gleich zu setzten mit Erwerbsarbeit. Aber
als solche innerhalb eines marktwirtschaftlichen
Verwertungszusammenhanges können Allmende nicht existieren.
Arbeit zielt darin allein auf die materielle Reproduktion des
Wirtschaftssubjekts, des einzelnen Menschen bzw. der jeweiligen,
durch Standes- oder gewerkschaftlich vertretenen Gruppen. In diesem
Wirtschaftsprozess werden alle Formen der Allmende lediglich
nachrangige, untergeordnete und nicht bis schlecht bezahlte
Tätigkeiten bleiben.
Arbeit als menschliche Arbeit steht so
der kulturellen Entwicklung eines Gesellschaft, eines Staates
gegenüber, fristet dort im Gegensatz zur Erwerbsarbeit als
kulturelle „Arbeit“ ein residuales Dasein.
Geld war nie Allmende. Und Geld, wie wir es kennen als Bargeld, wird wohl bald gänzlich verschwunden sein.
Die sich in den Bevölkerungen der westlichen Industrienationen verbreiternde und sich über alle Bildungsstufen ausweitende „Kulturarmut“ besteht für uns in diesem Zusammenhang nicht in einem sich einschränkenden staatlichen oder privaten Kulturangebot. Armut an Kultur betrifft für unseren thematischen Zusammenhang jenen wesentlichen Aspekt der kulturellen Entwicklung von Gesellschaften, die sowohl die Lebensbedingungen der Menschen verbessert wie die Lebensgrundlagen der Menschheit bewahrt.
Anmerkungen:
1 We got the experience, but we missed the meaning.
2 Disposition (aus lat.: dispositio = „Aufteilung“, „Zuweisung“; „Anordnung“, „Verwaltung“, „Verfügung“ [dispositio omnipotens], „Fügung“ [schicksalhaft], „Aufstellung“, „Gliederung“, „Plan“)
3 Disposition hat stets die Aufgabe, die richtige Menge, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort bereitzustellen, um die geplante Arbeitsleistung zu erreichen. Es handelt sich bei der Disposition um Funktionen, die mit planvollen Tätigkeiten wie der Einteilung, Verteilung oder Sortierung zusammenhängen. Dazu gehört konkret die Registrierung vom Kundenauftrag in der Kundenbetreuung (Auftragsannahme) über die bedarfsbezogene Bestellung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe durch die Materialwirtschaft, die Planung der Durchlaufzeiten bei der Produktion, der Einsatz des Personals durch Personaldisponenten am richtigen Arbeitsplatz, die Verfügung über Finanzierungsinstrumente in der Finanzierung bis zum Vertrieb des Endprodukts in der Logistik durch Disponenten.
4 Wir werden später auf die betriebliche Asymmetrie zwischen Entscheidung und Verantwortung ebenso eingehen wie auf die Asymmetrie zwischen Angebot und Nachfrage.
5 Episteme ist etymologisch abgeleitet von griechisch ἐπιστήμη und bedeutet „Erkenntnis“, „Wissen“ oder „Wissenschaft“. Es stammt vom Verb ἐπίσταμαι, das „wissen“ bedeutet.
6 Kommodifizierung bezeichnet den Prozess der Kommerzialisierung bzw. des „Zur-Ware-Werdens“ (vom englischen commodity, Ware). Kommodifizierung kann die Privatisierung von vorher gemeinschaftlich genutzten oder im Familienfideikommiss stehenden Ressourcen sein. Dies berührt sowohl den Kontext der Almende, eines Allgemeingutes, wie auch den Kontext der "unbezahlten Arbeit (unpaid labor) als ein Sammelbegriff für produktive, aber unentgeldlich verrichtetet Tätigkeiten.
7 Sehr gute Ansätze sahen wir in Heinsohn, Steiger ( 2002) und in Schlaudt (2016)
8 Allmende bezeichnet eine Form gemeinschaftlichen Eigentums. Besonders als landwirtschaftlicher Begriff bezeichnet Allmende oder „Gemeine Mark“ Gemeinschafts- oder Genossenschaftsbesitz abseits der parzellierten (in Fluren aufgeteilten) landwirtschaftlichen Nutzfläche. Siehe Martin Born: Geographie der ländlichen Siedlungen. 1977, ISBN 3-443-07104-X, S. 34.
9 Wir schließen uns der Bestimmung von Reid (1934, S. 11 f. an, wonach unbezahlte, produktive Arbeit von etwa Freizeitaktivitäten im Sinne von unbezahlter, unproduktiver Arbeit zu unterscheiden ist. Diese Unterscheidung wird auch "Dritt-Person-Kriterium" genannt, wonach als unbezahlte, produktive Arbeit jene Tätigkeiten gelten, die durch eine bezahlte Tätigkeit oder Dienstleitung, die von "Dritten" erbracht werden kann, gleichgesetzt ist.
10 Wir werden an anderer Stelle auf den Konnex zwischen Eigentum und gesellschaftlicher Entwicklung zurückkommen.
11 Luhmann (1989), S. 52. Bowles und Gintis (2000), S. 1427f.
12
Die GEW hat eine entsprechende Studie erstellt – danach klagen
sechs von zehn Befragten über schlechter gewordene
Arbeitsbedingungen, gut die Hälfte gibt an, ihr Arbeitsaufwand
habe sich durch den Bologna-Prozess erhöht, für mehr als
zwei Drittel hat der Druck zugenommen, Drittmittel einzuwerben.
Siehe: „Anspruch und Wirklichkeit des Bologna-Prozesses –
Umsetzung der europäischen Ziele in Deutschland.“
Ebenso
Education
at a Glance 2009. OECD Studie PDF.
13 Der Begriff der Opportunitätskosten ist weit verbreitet und gerade in der Wirtschaft von großer Bedeutung. Oftmals werden statt Opportunitätskosten auch Begriffe wie Schattenpreis, Alternativkosten oder Verzichtkosten verwendet.
14
Antonia
Zerbisias, Special to the Star. Sat., Oct. 30, 2010 .
Vgl.
auch Marylin Waring (1988): If Women Counted. A New Feminist
Economics. Harper
& Row, San Francisco u. a. 1988, ISBN 0-06-250933-0, wiederholte
Neuauflagen, auch bei Macmillan Publishers unter dem gleichen Titel
sowie unter dem Titel "Counting for Nothing" bei George
Allen & Unwin und University of Toronto Press.
15 Fraser 2014, S. 548
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