Ökonomie und Freiheit
Franz Rieder • Urteile ohne Wert, Immun gegen Empirie (nicht lektorierter Rohentwurf) (Last Update: 01.06.2019)
Kein Zufall, dass die Frage nach der Freiheit in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem sich hier stellt, wo es um die Marktwirtschaft geht. Das hat Milton Friedman, der neben John Maynard Keynes als der einflussreichste Ökonom des zwanzigsten Jahrhunderts angesehen wird, richtig gesehen; die Marktwirtschaft ist mehr als ein Wirtschaftssystem. In ihr bestimmen sich nicht nur Tausch- und Gebrauchswerte und marktgängige Verkehrsformen der Menschen untereinander, sondern auch die Wirtschaftssubjekte selbst und zwar weit über ihre rein materiellen Beziehungen hinaus.
Über Arbeit und Konsum bestimmen sich aber nicht nur die materielle Reproduktion der Menschen innerhalb konkreter politischer und sozialer wie technischer Bedingungen, sondern auch deren Beziehung zum Staat. Diese Beziehung erschöpft sich nicht in Wahlen. Sie wird in den Bereichen Arbeit und Konsum tagtäglich erlebt.
In seinem, oft als Hauptwerk zitierten: Kapitalismus und Freiheit kommt die Grundhaltung von Milton Friedman schnell auf den Punkt und überall zum Ausdruck: die grundsätzlichen Vorteile eines freien Marktes gegenüber staatlicher Regulierung und vielfältiger Eingriffe in den Markt. Die stete Forderung nach einer Minimierung der Rolle des Staate, um Raum und Entwicklungsmöglichkeiten individueller wie sozialer Freiheiten zu schaffen, war immer im Denken Friedmans mit der Marktwirtschaft verbunden und überlebt in den angelsächsischen Volkswirtschaften vornehmlich bis heute.
Es ist auch deshalb schon kein Zufall, dass die Allgemeine Gleichgewichtstheorie mit ihren mathematischen Ableitungen im Monetärkeynesianismus und dort im Prinzip der Gewinnmaximierung ihren theoretischen Höhepunkt fand. Die sozialen und politischen Grundlagen aber dieser Ausprägung des Montärkeynesianismus wurden im Jahr 1947 in der Mont Pèlerin Society (MPS) in Genf, Schweiz, gelegt1 . Neben Friedmann war wohl v. Hayek der geistige Urvater dieses radikalen Neoliberalismus, den er als die konsequenteste Weltanschauung und als das dominierende Prinzip sozialer Organisation über die MPS weltweit durchsetzen wollte.
Wahrscheinlich
noch unter dem Zusammenbruch der Weimarer Republik, dem Schock des
deutschen Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs stehend,
gingen die Gründungsmitglieder der MPS davon aus, dass auch in
einer Demokratie politische Entscheidungen nur entfernt über
Wahlen getroffen würden. Ja, dass Politik insgesamt nicht in der
Lage sei, die wesentlichen intellektuellen Strömungen zu
beeinflussen und zu kanalisieren, wie dies, nach Auffassung v. Hayeks
in ihrer Öffentklichkeitswirksamkeit eher die Presse, die
Journalisten und die Lehrer können.
Er unterschied logisch
folgerichtig, dass die Produzenten der später
öffentlichkeitswirksamen Theorien die „Original Thinkers“
seien, während die „Second Hand Dealers“ die
Ergebnisse der Ideologieproduktion in der Gesellschaft wirksam werden
lassen könnten. Die Rolle der „Second Hand Dealers“
ordnete Hayek den bis heute noch so bekannten wie beliebten
Think-Tanks zu, die aber heute die Rolle des „Original
Thinkers“ gerne gleich mit übernehmen möchten.
Walter Euken war maßgeblich für die Diskussion um eine zeitlich nahe nach dem Kriegsende durchzuführende Währungsreform in Verbindung mit einer völligen Freigabe der Preise als Grundlage und Bedingung für einen wirtschaftlichen Aufschwung im Nachkriegsdeutschland. Dies wurde bekanntermaßen am 21. Juni 1948 in den drei westlichen Besatzungszonen als „Die Währungsreform von 1948“ bekannt und zählt bis heute in Verbindung mit der Einführung der sozialen Marktwirtschaft2 als Richtschnur wirtschaftspolitischen Handelns ab 1949 zu den bedeutendsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Soziale
Marktwirtschaft im Sinne Müller-Armacks und freie
Marktwirtschaft im Sinne v. Hayeks und Friedman
wurden in den 1950er und 1960er Jahren des letzten Jhd. zu den beiden
dominierenden weltanschaulichen Gegensätzen – nach dem
Verfall der sozialistischen und kommunistischen Weltanschauungen –
innerhalb der westlich dominierten, volkswirtschaftlichen „Original
Thinkers“.3
Die
Auseinandersetzungen zwischen dem amerikanischen Flügel um von
Hayek, von Mises und Milton
Friedman einerseits und dem deutschen Flügel andererseits,
wurden immer vehementer geführt. Der vornehmlich von
Müller-Armack, von Rüstow und Röpke vertretene
deutsche Flügel brachte die Soziale Marktwirtschaft gegen die
vom amerikanischen Flügel präferierte „adjektivlose“
freie Marktwirtschaft in Opposition und trat, ganz in der Tradition
von Keynes für eine aktivere Verantwortung des Staates im Rahmen
einer umfassenden Sozial- und Gesellschaftspolitik sowie einer
staatlichen Intervention bei Wirtschaftskrisen ein.
Sie warfen dem amerikanischen Flügel letztlich Verrat an den eigentlichen Zielen des Neoliberalismus vor und betonten die Gefahren eines moralisch „abgestumpften und nackten Ökonomismus“, von dem Karl Popper, der bis zu seinem Tod bei seiner humanitären und sozial-philosophisch statt marktorientierten Grundüberzeugung blieb, als ein „Nonsens, das Prinzip freier Märkte zum Götzen zu erheben,“ sprach.
Innerhalb
der MPS wie auch im akademischen Diskurs der Volkswirtschaftslehre
hat sich das amerikanische Denkmodell als Projekt zur Verwirklichung
von mehr Markt, mehr Wettbewerb und mehr individueller Freiheit in
den folgenden Jahrzehnten durchgesetzt, heute deutlich erkennbar in
seiner Rückbesinnung auf die Grundideen von Keynes – wir
kommen darauf zurück. Nicht nur, wie bereits besprochen, wurde
Friedmans geldpolitischer Ansatz der Krisenanalyse wie der
Krisenintervention, der im krassen Gegensatz zu Keynes stand, eine
zeitlang führend, wonach die wahren
Auswirkungen auf
Konjunkturzyklen in der Geldmengenänderung bestehen. Damit
bestritt er diesen, bis heute nachhaltenden Aspekt gegenüber der
keynesianische Erklärung der Weltwirtschaftskrise, die nach
Friedman nicht auf die Instabilität des privaten Sektors,
sondern auf die Geldmengenreduktion des Federal Reserve System
zurückzuführen ist.
Friedman avancierte zum dem Vertreter des ökonomischen Liberalismus. Für ihn stand die Freiheit des Einzelnen im Zentrum der Argumentation. Er hielt die freie Wahl des Einzelnen für nutzbringender als staatliche Regelungen. Er unterstützte aktiv als politischer Mensch und „Influencer“ die Reduktion der Staatsquote, freie Wechselkurse, den Wegfall staatlicher Handelsbeschränkungen, die Aufhebung der Zugangsbeschränkungen zu bestimmten Berufsgruppen und eine Reduktion staatlicher Fürsorge.
Damit wurde Friedmans Liberalismus Theorem gewissermaßen und ungewollt zur Bestätigung des Arrow-Paradoxon. Die Individuen haben nur scheinbar qua Präferenzrelationen eine verallgemeinerbare, mithin gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion. Nur scheinbar ist der Nutzen vieler Menschen zugleich auch ein gesellschaftlicher Nutzen. Nur konsequent, wenn Friedman eine „sinnvolle“ Beziehung zwischen Individuen und Staat im Sinne einer Wohlfahrtsökonomie gleich ganz in Frage stellt.
Die gesellschaftliche Wohlfahrtsfunktion nach Arrow, die nach einem Verfahren sucht, individuelle Präferenzordnungen in gesellschaftliche Rangordnungen zu transformieren, zählt fünf Eigenschaften, die erfüllt sein müssen, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen. Nach den Berechnungen von Arrow ergibt sich bereits in dem Fall, dass mindestens zwei Individuen und mindestens drei Entscheidungsvarianten vorliegen, kein Mechanismus, der aus den individuellen Entscheidungen eine kollektive Entscheidung ableiten könnte, die allen fünf Axiomen genügt, existiert4 .
Was in der direkten Nachfolge dieses sozialstatistischen Verfahrens zum „Schwachen Pareto-Prinzip“ wurde, nimmt im Kern den Gedanken der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie nebst allen „Anomalien“ wieder auf und versucht, nicht ganz unambitioniert, ökonomisches und gesellschaftliches „Gleichgewicht“ vereinbar und messbar zu machen.
Das ökonomische Gleichgewicht. Dieses kann auf unterschiedliche Weise beschrieben werden, die aber alle im Grunde auf das Gleiche hinauslaufen. Man kann sagen, dass das ökonomische Gleichgewicht jener Zustand ist, der unendlich lange bestünde, wenn er nicht durch eine Veränderung der Bedingungen, die auf ihn einwirken, verändert würde. Wenn wir nun aber nur auf die Stabilität des Gleichgewichts abstellen, können wir sagen, dass es immer dann stabil ist, wenn es, nachdem es nur leicht verändert wurde, dazu neigt, sich wieder einzustellen und in den vorherigen Zustand zurückzukehren. Beide Definitionen sind gleichwertig5 .
Die Herstellung eines ökonomischen wie eines sozialen und politischen Gleichgewichts, ist das überhaupt wünschenswert? Das Pareto Optimum beschreibt einen Zustand, bei dem der Tausch allein durch den Nutzen6 bestimmt ist und ungehindert möglich sein soll. Es bestimmt keine Nutzensteigerungen, da es auch keine Nutzenzuwächse miteinander vergleichen lässt. Es bestimmt somit und eigentlich auch weniger die utilité, also den Nutzen im engeren Sinne, als die ofelimità, also die Substitutionsrate oder den reinen Warentausch, worin es per definitionen keine anderen, weiter bestimmenden Faktoren geben darf.
Aber so ist ein Pareto Optimum im Kern eine nutzlose Angelegenheit. In seiner Vorläufervariante, dem Modell von Walras, zeigt es uns lediglich und mit gigantischem Aufwand an mathematischen Berechnungen, was wir ohnehin wissen. Im Gleichgewicht ist der Grenznutzen bzw. der Grenzertrag des Geldes in allen Verwendungen gleich. Geld fließt solange von einer in eine andere Verwendung, bis sich ein Gleichgewicht einstellt. Aber das geht nicht über den „natürlichen Preis bzw. den Marktpreis bei Adam Smith hinaus.
Die Aussagekraft des Pareto Optimums ist ebenfalls sehr bescheiden. Zum einen beschreibt es, wie das walrasianische Gleichgewicht, einen reinen Tauchmarkt. Die Produktion von Gütern wird zwar mit einer ähnlichen Logik wie der Tauschmarkt, analysiert, jedoch in einer isolierten Betrachtung. Wurden bei der Analyse des Tauschmarktes Isonutzenkurven verwendet, also Linien, die alle Kombinationen aus zwei Waren liefern, die gleichen Nutzen stiften, so werden bei der Analyse der Produktion Isoquantenkurven eingesetzt, also Linien, die alle Kombinationen aus (zwei) Produktionsfaktoren darstellen, mit denen der gleiche Ertrag erwirtschaftet werden kann.
Was auf der Seite der Märkte vielleicht noch angeht, nämlich die Frage zu stellen, ob ein „Tauschgleichgewicht“ auch ein Indikator für einen freien und somit fairen Tauschprozess ist, geht auf der Seite der Produktion nun gar nicht mehr. Im Grunde aber funktionierte bereits der Tausch selbst nicht, da alle Fragen der „Ungleichgewichte“ ausgeschlossen waren. Selbst wenn es nur darum ginge, ein faires Verhältnis zwischen vier Äpfeln und drei Birnen zu finden, ist der mit den Äpfeln, so er über einigen Wohlstand verfügt, immer im „Vorteil“ gegenüber dem mit den Birnen, so der ein armer Schlucker ist. Ökonomische, soziale, kulturelle, berufliche sowie strukturelle Unterschiede zwischen Anbieter und Käufer außer Acht zu lassen, kommt immer im Ergebnis darin aus, dass Äpfel und Birnen addiert werden.
Anomalien 2. Teil
Wir
haben gesehen, dass das, was in der ökonomischen Kalkulation
nicht aufgeht, als Marktanomalien uns wieder begegnet. Wir haben den
Mechanismus beschrieben, dem wir diese neuerliche, nun abgespaltene
Begegnung mit dem Unberechenbaren verdanken, eben dem Mechanismus der
Abspaltung von mathematischen und auch mit sozialwissenschaftlichen
Methoden der Stochastik nicht berechenbaren Marktprozessen –
und Produktionsprozessen, wie wir gleich sehen werden.
Wer einmal
von Berufs wegen in einer wichtigen Verhandlung saß, weiß,
wie „vorteilhaft“ es war, eine weitgehende Unabhängigkeit
vom angestrebten Ergebnis mit in die Verhandlungssituation bringen zu
können; auch die entwickelte Fähigkeit zum „Bluff“
ist übrigens nicht zu unterschätzen. Chinesen sagt man
nach, dass es uns Langnasen schwer fällt, hinter dem
Dauergrinsen die Motivation
wie die Absichten zu erkennen, denen sie in einer Verhandlung folgen;
und da ist etwas dran. Der homo oeconomicus, stets nach Maximierung
seines Nutzens und Wohlergehens strebend, ist so ein stets nur
selbstbezogener Akteur im Tausch7 .
Sein Verhalten ist stets rational, er kennt weder Neid noch Ranküne,
ihm machen Unterschiede zwischen ihm und dem anderen (Akteur) nichts
aus.
Das,
was ihn treibt, ist einzig, von einer feststehenden Gesamtmenge an
Waren und Gütern den größeren Anteil zu erwerben. Und
was er hinnehmen muss, ist, dass mit dem Zuwachs seines Besitzes,
also der von ihm erworbenen Gütermenge, mit jedem neu hinzu
gewonnenen Stück sein Nutzen sinkt8 .
Nachvollziehbar
allemal ist, dass eine Verhandlung ein Mittel ist, um einen Zweck,
ein Ziel zu erreichen, und, dass es oft sinnvoll und von Nutzen ist,
Mittel und Zweck von einander zu trennen, sich ganz auf das Mittel zu
konzentrieren und weniger Katheter-Diskussionen um Zwecke und Ziele
zu führen. Auf den Sinkflug des Grenznutzens kommen wir später
noch zurück.
Ob man nun das erste oder das zweite Gossensche Gesetz heranzieht, das zweite um den Gesamtnutzen (eines Haushaltes) rechnerisch zu analysieren, es bleibt bei einer hoch abstrakten und irrelevanten Extratheorie eines vermeintlich rein individuell begründeten Nutzenkalküls, dessen Entscheidungsrelevanz im Tauschverhalten nur dann aufgeht, wenn Entscheidungen unabhängig von Kontexten, insbesondere von den konkurrierenden Akteuren, von gesellschaftlichen Formen der Arbeitsteilung noch den Bedingungen der Warenproduktion in marktwirtschaftlichen Ökonomien bedingt sind. Diese Trennung von Inhalten, diese Abspaltung von Qualität zugunsten einer berechenbaren Gleichung hat Tradition, ist eine Hypostasierung von Wissenschaft gegenüber allem, was sich einer bestimmten Form von Wissen entzieht.
Foster
vergleicht die Neoklassik treffend mit der mythischen Gestalt des
Königs
Midas, der sich von Dionysos ausbedang, dass alles, was er (Midas)
berührt, zu Gold werden sollte, was natürlich sogleich ihm
dem Hungertod sehr nahe brachte9 .
In ökonomischen Kategorien gesprochen, ersetze man Gold durch
Geld und erhalte im Dialog zwischen Cecil Graham und Lord Darlington
den fundamentalen Unterschied zwischen zwischen Preis und Wert einer
Ware:
Cecil
Graham: Was ist ein Zyniker?
Lord Darlington: Ein Mensch, der von
allem und jedem nur den Preis kennt und nicht den Wert.10
Oft
zitiert, um dem tumben homo oeconomicus einen Spiegel vorzuhalten,
aber ebenso oft am literarischen Ort nicht weitergelesen:
Cecil
Graham: Und ein Romantiker, mein lieber Darlington, ist ein Mensch,
der allem einen übertriebenen
Wert beimisst, ohne sich je nach dem gängigen Preis für
irgend etwas zu erkundigen.
Bei aller Irrelevanz der neoklassischen Substitution von Wert und Preis soll aber eines durchaus hier festgehalten werden. Der homo oeconomicus steht für einen Aspekt menschlichen Verhaltens in wirtschaftlichen Kontexten, der als ein ontologischer Aspekt dieses Verhaltens generalisierbar ist, nämlich, dass die beiden wesentlichen Grundannahmen für wirtschaftliches Handeln aus marktwirtschaftlicher Sicht Rationalität und Streben nach Nutzenmaximierung sind. So trivial es klingt, so wichtig ist, diese Grundannahmen nicht vom Tisch zu fegen. Kein Arbeitnehmer wird vor der Wahl stehend, zwischen einem Arbeitgeber, der weniger bezahlt als ein anderer – und vielleicht auch noch weitere Nachteile bietet – die schlechtere Lösung für sich wählen. Rationales und nutzenorientiertes resp. vernünftiges Verhalten bildet nicht nur eine individuelle Größe, sondern eine, den wirtschaftlichen Prozess enorm antreibende Kraft, die, unter Wohlfahrtsgesichtspunkten betrachtet, ebensolche Vorteile bietet. An dieser Stelle ist auch eine Ebene der Diskrimination zwischen marktwirtschaftlicher und staatsmonopolistischer Wirtschaftsordnungen zu suchen, insofern darin eine rationale Orientierung am gesellschaftlichen Nutzen im Faktor Arbeit nicht stattfindet.
Hebt man diesen Gedanken auf eine grundsätzliche, wissenschaftskritische Ebene und die Frage, wie kann Wissenschaft überhaupt einen Beitrag leisten, ökonomische Wohlfahrt „berechenbar“ zu machen, dann sieht man in der frühen, nachkeynesianischen Ökonomik eine Verbindung zwischen sozialen Nutzen und dem Pareto-Prinzip, dass dessen wissenschaftliche Grundlage bildet. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass es erkenntnistheoretisch höchst problematisch ist, intersubjektive Nutzenvergleiche anzustellen wie auch theoretische Schlussverfahren zwischen einer Wohlfahrtsökonomie und individuellen Nutzenkalkülen anzustrengen. Die neoklassische Ökonomie war sich anfangs durchaus bewusst, dass diese theoretische bzw. logische Schwierigkeit besteht, fand aber im englischen Utilitarismus einen möglichen, gangbaren Weg.
Dort wurde im Nutzenkalkül zugleich auch ein Schlüssel gesehen, Fragen der normativen Ethik gleich mit zu beantworten. Hat ein Hungernder durch den Diebstahl eines Brotes von einem Reichen nicht einen gerechtfertigten Nutzen, da jener das Brot unbedingt, dieser aber nur bedingt braucht? Wiegt der Nutzen des Armen den Verlust des Reichen nicht auf? Die Schwierigkeit, die immer dann ins Spiel kommt, wenn man von einem individualistischen Ansatz aus zu kollektiven Größen wie dem Gesamtnutzen kommen möchte und seinen diese Schwierigkeiten auch nur rein rechnerischer Art, umgeht der englische Utilitarismus dadurch, dass er einfach das Maß des kollektiven Wohls außer Acht lässt. Ohne Maß, ohne Anspruch auf Messbarkeit kann er aber durchaus mit dem schwachen Pareto Prinzip von einem Optimum für ein Kollektiv sprechen, solange der Nutzenzuwachs eines Individuums nicht in gleichem oder höherem Maße eine Verschlechterung bei einem anderen Individuum nach sich zieht.
Dann stimmt anscheinend die „Formel“ wieder, wenn sich ein Zustand verbessert, ohne, dass sich damit ein anderer verschlechtert. Und wenn dann noch eine Situation erreicht ist, in welcher sich kein Individuum mehr weiter verbessern kann, also ein Pareto-Optimum, ist zugleich auch ein zwar nicht durch Messbarkeit vorhersagbarer, aber doch ein nachträglich messbarer und zugleich de facto optimaler Zustand erreicht. Wir erinnern uns an die Ausführungen zu Wachstum und Umverteilung, die nun durch den englischen Utilitarismus in ein neues Licht geraten.
Über Kaldor11 und Hicks12 gelangte der Gedanke, dass Umverteilungsgerechtigkeit kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Begriff ist und deshalb aus der Ökonomik ausgeschlossen werden muss in die Diskussion der folgenden Jahre. Dabei blieb das Nutzenkriterium bestehen und mit ihm das Pareto-Prinzip. Alle Formen politischer Verbesserungen der wirtschaftlichen Situation, also Reformen, wurden nun nach dem sog. Kaldor-Hicks-Kriterium bewertet. Demnach ist eine Reform generell zu begrüßen, wenn sie eine potenzielle Verbesserung im Sinne des Pareto-Prinzips darstellt. Und es ist nicht Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung, ob dabei de facto Gewinne und Verluste, also Nutzen und Schaden nicht nur ungleich verteilt bleiben, nicht einmal, wenn Gewinne und Verluste im gesamtgesellschaftlichen Sinne diese Ungleichheit sogar noch verstärken – Oskar Wilde’s Zyniker grüßt.
Aber was ist gewonnen durch den Abschied der Wissenschaft der Ökonomik von der Politik, außer, dass sie ihre Fröhlichkeit bewahrt? Immerhin ist die Ungleichheit, diese größte aller Anomalien im ökonomischen Gleichgewichtsmodell, wieder ins Kalkül herein geholt worden. Und, wichtiger noch, in dieser Form der Verallgemeinerung auf wohlfahrtskonforme Kriterien erlaubt das Pareto-Prinzip den Ökonomen, fortan Fragen der Effizienz zu stellen und von Fragen der Verteilung getrennt zu halten. Ökonomen können nun – und das war der Anfang ihrer Hochzeit als Experten und politische Berater – alle wirtschaftlichen und auch die wirtschaftspolitischen Sachverhalte, Reformen wie Abkommen und Gesetzesentwürfe, einer wissenschaftlich nüchternen, rein zahlengetriebenen Kosten-Nutzen-Analayse unterziehen, ohne sich der Frage der Verteilungsgerechtigkeit stellen zu müssen.
Die
Kosten-Nutzen-Analyse13
wurde schnell zum bevorzugten Verfahren der Wirtschaftsökonomik,
angewandt
vor allem auf Entscheidungsprozesse öffentlicher
Infrastruktur-Investitionsvorhaben und damit auch Liebling der
politischen Entscheider. Dort avencierte die Kosten-Nutzen-Analyse
als Sicherung und Legitimation staatlicher Investitionsentscheidungen
und als Spielball deren wechselnder Interessenlagen.
Denn selbst
immanent betrachtet, also aus rein mathematischer Sicht, ist die
Kosten-Nutzen-Analyse als politisches Mittel zum Zweck recht
flexibel, dehnbar, mit anderen Worten manipulationsanfällig.
Ihre
„Rationalität“ hängt ganz wesentlich davon ab,
ob die einzelnen Kosten- und Nutzendeterminanten ausreichend
quantifiziert werden können, von der Bestimmung der relevanten
Zeitperiode, in der ein Investitionsprojekt abdiskontiert wird und
der damit verbundenen Größe des Diskontfaktors; eine Reihe
von Nebenwirkungen, von z. B. nicht-pekuniären Erträgen
positiver wie negativer Art, die sich zu erheblichen Größen
aufsummieren können, ganz zu schweigen.
Urteile ohne Wert
Noch ist es zu früh, um eine umfassende Diskussion über Werte, über Ethik zu führen. Uns fehlen noch ein paar Grundlagen der normativen Ökonomik. Ohne diese bliebe auch eine Ethik, die anstrebt, über die normative Ökonomik hinaus zu gehen, leichtgewichtig und frei schwebend in der Luft hängen. Zur normativen Ökonomik gehört nicht nur, dass sie qua Stammbuch Mittel und Zwecke von einander zu trennen sucht, sondern auch, dass allein empirische Urteile einen Sinn machen, nur auf empirischer Erfahrung bzw. Beobachtung basierende und von dieser her allgemein nachvollziehbar weil messbare und somit als objektive Urteile wissenschaftliche Gültigkeit besitzende Urteile Gegenstand der Ökonomik sein dürfen.
Hier sehen wir den Einfluss der neopositivistischen Wirtschaftsphilosophie des sog. Wiener Kreises, der im Verein mit dem englischen Utilitarismus der Neoklassik ihre wissenschaftliche Basis verschaffte. Auf dieser Basis beruht die Trennung zwischen empirischen Urteilen und Werturteilen in der neoklassischen Wirtschaftslehre, die wir aus dem englischen Utilitarismus bereits kennen, die nun aber radikalisiert im Gesamtdiskurs als grundsätzliche Trennung zwischen Politik und Ökonomie generalisiert wurde. Diese Trennung, die diskursiv, also wissenschafts-immanent in der Trennung zwischen Zweck und Mittel repräsentiert ist, erfasst nun alle nicht immanenten Aspekte des Wirtschaftslebens, alle als Zweck- oder Werte bestimmte Sachverhalte. Dazu gehören also dann auch soziale bzw. soziologische Sachverhalte, nicht nur politische.
Ein
weiterer Aspekt ist in der Konsequenz dieses Denkens, dass die Frage
etwa, ob denn eine prinzipielle Verbesserung der materiellen
Situation im Faktor Arbeit auch praktisch möglich ist, ob eine
politische Reform, die prinzipiell nach der Kosten-Nutzen-Analyse
mehr Nutzen als Kosten ausweist, auch eine praktische
Realisierbarkeit nach sich zieht, die sinnvoll für das
Gemeinwohl ist?
Dem kann die Wirtschaftswissenschaft nicht so
einfach entgehen, indem sie sich nicht zuständig dafür
erklärt, weil hier soziologische Bereiche, Fragen der sozialen
oder kulturellen Wirklichkeit berührt werden.
Aber noch weit entscheidender für das Selbstverständnis der Ökonomik ist, dass sich auch Fragen der Effizienzsteigerung14 nur schwer von Fragen der Distribution, von Fragen der Verteilung unter Gemeinwohlaspekten trennen lassen. So die Ökonomik ihre Sicht auf Verteilungsfragen grundsätzlich an die Politik delegiert, hat sie doch die nicht-ökonomische Dimension solcher Fragen als Wertfragen auf dem Tisch liegen. Denn diese Frage zu delegieren heißt, auch solche Fragen beantworten zu können, insofern eine Bestimmung als Wertfrage vor deren Delegation ja notwendig ist, will sie nicht beliebig nach Art des laissez-faire behandelt werden.
Sogar die solistische Frage nach der Effizienzsteigerung trägt diese Werturteilsdimension in sich, gilt sie der Ökonomik ja nicht allein als Mittel zur Erreichung eines ihr fremden, politischen oder sozialen Zweckes, sondern, qua ontologischer Bestimmung ihres Wirtschaftssubjekts, dem homo oeconomicus, auch als fundamental erstrebenswert. Nun kann man der Meinung sein, dass, da das Wirtschaftssubjekt der Ökonomik eine „natürliche“, mithin grundsätzliche und verallgemeinerbare Bestimmung sei, diese damit auch hinreichend begründet ist. Dass also Effizienzsteigerung im einzelnen Fall wie auch in der Wohlfahrtsökonomik gleichermaßen begründet sind und der mögliche faktische Nutzenzuwachs eines einzelnen Wirtschaftssubjekts damit auch keiner weiteren Bestimmung bedarf, die diesen Zuwachs aus dem Blick der gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen reflektiert.
Was also stets wiederkehrt, ist – erkenntnistheoretisch gesprochen – die Schwierigkeit der logischen Begründung eines kausalen Zusammenhangs zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen und dem Zusammenhang transzendentaler Begriffe bzw. Urteile und deren faktischer Relevanz. So stellen Ökonomen einen Zusammenhang her zwischen dem faktischen Nutzen einer politischen Reform und deren Messbarkeit etwa auf einer Faktorebene, dem Faktor Arbeit z.B.
Etwa Steuersenkungen werden hypothetisch als Verbesserung der Situation eines einzelnen Arbeitnehmers betrachtet und somit ein Zusammenhang unterstellt zwischen einer faktischen Reform und einer hypothetischen Sachfolge. Würde also ein einzelner Arbeitnehmer „reicher“, hätte die Ökonomik auch – sehr gering zwar, aber logisch richtig – einen Zuwachs des gesamtgesellschaftlichen Wohlstandes, ganz gleich, wie auch immer dieser gesamtgesellschaftliche Wohlstand verteilt ist. Lässt sie nun jede Frage nach der Verteilung aussen vor, stimmt die Rechnung. Aber stimmt sie selbst dann wirklich?
Diese Diskussion mit allen ihren Schwachstellen kehrt heute fast täglich durch Medien verteilt in unsere Alltagsgespräche ein und zieht eine, teils unsäglich peinliche, politische Gerechtigkeitsdiskussion hinter sich her. Wir betonen in diesem Zusammenhang zunächst nur diesen Aspekt, dass der Zuwachs an gesellschaftlichen Wohlstand aus wissenschaftlicher Sicht nicht begründet ist durch die ontologische Bestimmung des homo oeconomicus als nutzenorientiertes Individuum.
Das kollektive Wohl, welches sich die Wissenschaft wie auch Politik und hier in jeder fadenscheinigen, narrativen Umgangsform auf die Fahnen schreiben, ist unbegründet und damit auch jede Form, jedes Mittel, das zu dessen Verbesserung bzw. rechnerischen Steigerung heran geführt wird.
Das kollektive Wohl ist und bleibt zunächst nichts anderes als ein Werturteil, von dem man nichts abziehen kann, so dass ein berechenbarer Wert übrig bleibt, etwa das durchschnittliche Privatvermögen der Mitglieder einer volkswirtschaftlichen Gemeinschaft, an dessen Zuwachs oder Minderung man den faktischen Nutzen eines einzelnen Wirtschaftssubjekts wie eines Gesamtwohles ablesen könnte. Was man durchaus also berechnen kann, etwa den Lohnsummenzuwachs, ist aber zugleich durch die Berechnungsmethode als Maßstab eines vermeintlichen Anstieges des kollektiven Wohles unbrauchbar geworden. Eine Gesellschaft kann durchaus verarmen, obwohl oder trotz eines Anstieges der Lohnsumme.
Das
Urteil daher über den Zuwachs des gesellschaftlichen Wohlstandes
bleibt immer ein Antagonismus zwischen einem Urteil auf der Basis von
mathematischen Berechnungsgrößen und einem Werturteil
aufgrund ungleicher Verteilung von Wohlstand. Mittel können von
Zwecken, denen sie dienen, nicht künstlich getrennt werden, auch
nicht durch ein Postulat einer vermeintlich zweckfreien, gleich
sachlich fundierten, objektiven Wissenschaft.
Der Traum von der
Trennung von Wert- und Tatsachenurteilen steht aber, trotz
zahlreicher, überzeugender, wissenschaftskritischer Ausführungen
seit Max Webers Beiträgen zur Werttheorie nach wie vor hoch im
Kurs. Selbst die Tatsache, dass bereits die Festlegung der Anzahl
derer, die in die Berechnung des kollektiven Wohls eingehen, ein
Werturteil bildet, zeigt, dass reine, auf empirische Verfahren wie
auf mathematische Berechnungsmethoden basierende Kenngrößen
keine reinen Tatsachenurteile bilden.
Tatsachen, facta bruta, die als „natürliche“ oder „nackte“ Tatsachen wissenschaftlich in Anspruch genommen werden, erscheinen insofern als „reine“ Tatsachen, als sie in keinen Zusammenhängen erscheinen, die von Regeln und Strukturen, die diese Zusammenhänge konstituieren, in ihrem Erscheinen, also in ihrem Sosein bestimmt sind. In menschlichen Zusammenhängen, in Beziehungen von Menschen untereinander, in Institutionen, am Arbeitsplatz, auf Märkten etc. kann es keine „facta bruta“ geben. Schlägt ein Blitz in einen Marktstand und tötet den Besitzer, ist dies ein Ereignis, ein Naturereignis außerhalb menschlich geschaffener Regel- und Strukturzusammenhänge, selbst unter Aspekten des menschlich verursachten Klimawandels. Dann mag man, in Gottes Namen, von reinen Tatsachen sprechen.
Aus den heftig unter dem Namen: Werturteilsstreit geführten Auseinandersetzungen wissen wir, dass man den „Katheterbewertungen“ und den „Professoren-Propheterien“15 dann letztlich doch nicht entkommt. Gewiss, ein Versuch war es wert und hat einiges an urteilskritischen Reflexionen in Kreisen der Wissenschaft hinterlassen. Aber zu glauben, man könnte gegen weltanschauliche und verdeckte, politische Standpunktanhaftungen im wissenschaftlichen Diskurs, diesen quasi hygienisch rein machen, indem man auf einen reinen, wertfreien, „fachmäßigen“ Wissenschaftsstandpunkt hin arbeitet, entpuppte sich als eine Illusion.
Wenn
ein Wissenschaftler versucht, auf der Grundlage empirischer Daten,
Annahmen und Methoden über die Eignung ökonomischer und
politischer Mittel, also Gesetze, Verordnungen, Reformen und
repräsentativer Erhebungen etc. zu urteilen und deshalb von
jeglichem Zweckurteil bzw. jeglicher Zweckbestimmung befreit wäre,
dann irrt er sich gewaltig. Richtig ist, dass, wenn ein Zweck als
wünschenswert erachtet wird, damit auch ein Werturteil
ausgesprochen ist.
Richtig aber ist auch, dass, wenn ein
Wissenschaftler die Effizienzsteigerung innerhalb der deutschen
Landwirtschaft berechnet und eine Mehrung des kollektiven Wohls in
Deutschland und bei den deutschen Bauern feststellt, ist dies
ebenfalls und bereits so ein Werturteil.
Denn diese
Effizienzsteigerung hat prinzipiell, und dies ist de facto in den
meisten Fällen auch der Fall, allein schon durch die Festlegung
des „Untersuchungsgegenstandes, hier Deutschland, ein
Werturteil insofern ausgesprochen, als es wünschenswert ist, die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern gegenüber ihren
afrikanischen Kollege etwa zu verbessern und so deren kollektives
Wohl zu stärken.
Das
sagt der Wissenschaftler mitunter nicht, ist aber trotzdem richtig,
meint inhärent, weil die Wirkung und die Steigerung der Wirkung
landwirtschaftlicher Handlungen in modernen Gesellschaften mit
globalen Wertschöpfungsketten, informell und logistisch
transnationalen Zusammenhängen sowie globalen Märkten
zugleich der Wirkungsgrad weit über den künstlich
geschaffenen, geografischen wie zeitlichen Untersuchungsraum hinaus
reicht; ganz zu schweigen von klimatischen und weiteren, global
wirkenden Zusammenhängen.
Es geht uns eben doch etwas an,
wenn „ein Sack Reis in China umfällt.“
Immun gegen Empirie
Fragte man die Ökonomen selbst und eine repräsentative Anzahl normaler Menschen, ob denn die Volkswirtschaftslehre eine empirische Wissenschaft sei, also eine, die sich mit den harten Fakten der Wirtschaft beschäftigt, dann wäre die Antwort wohl deutlich positiv. Viele Menschen meinen, wer wissenschaftlich mit der Wirtschaft zu tun hat, versteht auch etwas davon, versteht nicht nur wie Wirtschaft funktioniert, sondern könnte im Ernstfall auch ein Unternehmen erfolgreich leiten. Das bezweifeln wir.
Unser
Zweifel begründet sich dadurch schon, dass mit Wissenschaft und
wissenschaftlichen Know-how noch keine praktischen Fähigkeiten
notwendigerweise verbunden sein müssen. Der Transfer zwischen
Wissenschaft und der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist
aber nicht nur nicht notwendig gegeben, im Gegenteil. Er kann auch
aktiv, also beabsichtigt ungewollt sein.
Diese seltsame
Zurücknahme einer möglichen Anwendung von Wissenschaft auf
gesellschaftliche Praxiszusammnhänge nennt man im sog.
Kritischen Rationalismus wie auch in Teilbereichen der
Wirtschaftswissenschaften: Modellplatonismus16 .
Das ist ein Verfahren und kann auch als eine wissenschaftliche
Verhaltensweise beschrieben werden, Theorien und wissenschaftliche
Modelle vor dem möglichen Scheitern an Erfahrungstatsachen durch
Anwendung von Immunisierungsstrategien abzusichern.
Empirievermeidung in nenneswertem Ausmaß erkennt man, so Albert, daran, dass drei Arten von Indizien vorliegen. Zuvörderst die Formulierung von sog. unspezifizierten Ceteris-Paribus-Annahmen bzw. Klauseln. Das sind Annahmen bzw. wissenschaftstheoretische Klauseln, die Behauptungen, sofern sie in wissenschaftlichen Abhandlungen formuliert werden, direkt unter den Vorbehalt unveränderter Bedingungen bzw. Umständen stellen17 .
Wir
sind dieser Klausel kürzlich begegnet, als es darum ging, das
Gesetz von Angebot und Nachfrage zu diskutieren. Das besagt nämlich,
dass die Nachfrage nach einem Gut abnimmt, wenn der Preis steigt und
alle anderen Variablen, wie z. B. die Menge sowie die Preise und
Mengen anderer Güter und auch die produzierte bzw. angebotene
Gesamtmenge als konstant erarchtet werden.
Wir haben gesehen, dass
der Aussagewert solcher Analysen, bei denen nur eine Variable
geändert werden kann und man dann auf deren „conditio“,
also deren Wirksamkeit zum Ergebnis hin, analysiert, schlicht
irrelevant sind. Warum also dieser Aufwand, wenn im Ergebnis wenig an
Erkenntnis zu holen ist?
Die Immunisierungswirkung modellplatonistischer Aussagen liegt dann fast universell darin, dass jede gegenteilige Aussage die eigene insofern nicht kritisieren oder widerlegen kann, als sie sich ja veränderter Konditionen bzw. anderer Begleitumstände verdankt. Wenn also das Gegenteil zur eigenen Aussage apriori als ebenso richtig wie die eigene Aussage erklärt wird, diese aber weder die Methode noch das Ergebnis als solches in Frage stellt, kann man auch von Tautologie-Produktion sprechen. Die Eingangsbehauptung wird also, sofern eine Variable geändert werden kann und so das Gegenteil der Aussage ebenso richtig ist, eine Tautologie. Ändert man die Farbangabe eines weißen Pferdes, bekommt man im Ergebnis keinen Schimmel.
Nun muss der Richtigkeit halber natürlich gesagt werden, dass im Rahmen der Physik und generell der Natur- und diesen angelehnten Wissenschaften im Rahmen von Fallexperimenten es nicht nur üblich, sondern auch sinnvoll ist, die Wirksamkeit einzelner Variablen zu testen; in der Statik z.B. von großer Wichtigkeit.
Wir wollen in diesem Zusammenhang auch gar nicht so sehr auf wissenschaftstheoretische Zusammenhänge eingehen, sondern daran erinnern, in welchem Zusammenhang wir diese Thematik verortet haben, nämlich als Grenzbestimmung von Individuum und Gesellschaft aus marktwirtschaftlicher Sicht. Der unterstellte Zusammenhang wirtschaftlich wirksamer Maßnahmen auf das einzelne Wirtschaftssubjekt und deren Transfer zur kollektiven Akzeptanz ist unser Horizont.
So hat schon Albert vorgeschlagen, den Modellplatonismus durch konsequente Soziologisierung des ökonomischen Denkens zu überwinden, indem von den tatsächlichen Motivstrukturen, Wertorientierungen und Einstellungen der Wirtschaftssubjekte ausgegangen sowie der verhaltensrelevante Kontext berücksichtigt wird. Alberts methodologischer Individualismus gründet in der Annahme, dass die Grundbestandteile der sozialen Welt Individuen sind, so dass soziale Prozesse und Institutionen unter Rückgriff auf theoretische Aussagen über individuelles Verhalten bzw. Handeln erklärt werden müssen.
Wir sehen aber gerade darin eine weitere Möglichkeit wissenschaftlicher Immunisierung gegen Empirie, als das Modell des methodologischen Individualismus sogleich am Grund seiner selbst seinen Anwendungsbereich auf das Individuum, auf dessen Präferenzen und also auf das Pareto-Prinzip, „welches immer als Ausdruck individueller Freiheit betrachtet wurde“18 beschränkt. Diese (Selbst-) Beschränkung stellt also die wissenschaftlichen Annahmen nicht, wie üblich und richtig als Hypothesen vor, sondern als Spezifizierung des beschränkten Anwendungsbereich. So ist diese Beschränkung immun gegen Empirie, als diese im Anwendungsfalls mit gegenteiligem Ergebnis nicht die Hypothesen widerlegt, sondern die Abweichung von Modell und Empirie als eine Anwendung an einem „anderen“ Ort, an einer anderen Bezugsgröße abwehrt.
Dieser
„andere“ Ort, die andere Bezugsgröße, ist in
der Wissenschaftsgeschichte der Ökonomie zum sog.
methodologischen Kollektivismus avanciert, dem wir uns zu einem
späteren Zeitpunkt eingehender widmen werden. Es ist nicht ganz
zufällig, dass mit der Auseinandersetzung des methodologischen
Individualismus quasi dessen Gegenpol stärker in den Blick
gerät, stellt sich doch die
Frage nach einer kollektiven Präferenz gegen eine individuelle
Präferenz in unserem Zusammenhang gleichsam von selbst auf.
Um
diesen Gegenpolen und ihren methodologischen Aporien zu entgehen,
bietet sich, gleichsam als dritte, wissenschaftliche
Immunisierungsstrategie an, den Anwendungsbereich eines Modells
gleich gänzlich offen zu lassen und sich so, bar jeder Empirie,
gleich aus welchen methodologischen
Ansätzen heraus, ungestört der Berechnung von
unterschiedlichen Variablen und somit varianten Modellen widmen zu
können.
So hat man dann den Modellplatonismus in Reinkultur
und nach allen Seiten hin immun und die Volkswirtschaft die „Ehre“
eines hoch-wissenschaftlichen Charakters, der in der Anwendung
aufwendiger mathematischer Verfahren besteht und sich nicht mehr um
die lästigen „Einzel- und Sonderfälle“ der
Wirklichkeit kümmern muss.
Für uns aber ist von noch
prominenterer Wirkung, dass sich die Volkswirtschaft, die ja eine
Wissenschaft im „Anwendungsbereich“ menschlichen
Verhaltens sein will und muss, der leidigen Frage nach dem
Zusammenhang von Individuum und Gesellschaft, zu staatlichen und
anderen Institutionen wie auch Normen und Regeln nicht mehr stellen
muss, ja diesen gegenüber wissenschaftlich immun ist. So kommen
zwei Implikationen im Denken der modernen Ökonomik langsam zu
Vorschein: die eine ist, dass Wirtschaft eine, ausgehend von einem
einzelnen Wirtschaftssubjekt berechenbare Praxis ist. Die zweite,
dass es einen logischen Zusammenhang zwischen einen individuellen und
einem kollektiven Nutzen, also zwischen individuellem Nutzen und
kollektiver Wohlfahrt gibt.
Nicht mit Fragen rechnen
Wir
haben die Deutsche Verfassung uns angeschaut und festgestellt, dass
diese wie fast alle anderen Verfassungen der westlichen
Industrieländer spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg
juristisch auf dem Privatrecht gründen. Dieses Recht wiederum
gründet in der Vorstellung von individueller Freiheit als die
grundlegende „humanitas“(lat.), das, was das Menschsein
also grundlegend ausmacht und von dem aus die von Menschen gesetzten
Normen und Verhaltensweisen her begründet sein müssen.
Jene
Normen und Verhaltensweisen, die den materiellen Austausch in unserer
Gesellschaft regeln, gründen ebenso in dieser Auffassung der
individuellen Freiheit des einzelnen Menschen, die mithin ein
Grundrecht auch durch staatliche Eingriffe in die Freiheit des
Wirtschaftssubjekts nur in begründeten Ausnahmen politisch
zulässig sind. Solche Ausnahmen regelt z.B. das Wettbewerbs- und
das Kartellrecht, das Handelsrecht wie auch transnationale Abkommen,
insofern es den freien Wettbewerb, also die individuelle
Entfaltungsmöglichkeit von Unternehmen grundsätzlich
sichert und damit auch die Fortwährung der Eigentumsrechte
garantiert, die als staatlich garantierte Investitionssicherheit
gegen jede Form von Enteignung, auch durch unzulässige
Kapitalkonzentration, mithin Konzernbildung, verteidigt.
Letztlich
steht auf der Basis eines freien Marktzuganges auch die Realisierung
der Wertschöpfung der produzierten Waren durch den Verkauf in
diesem gleichen Horizont individueller Freiheit, als weder Zugang
noch Waren selbst einer staatlichen Kontrolle unterliegen, es sei
denn, es wird auf den Märkten gegen gängiges Recht
verstoßen.
Wenn wir in diesen Zusammenhängen vom Staat
sprechen, dann allein innerhalb demokratischer Staatsformen,
keinesfalls unter staatsmonopolistischen Wirtschafts- und deren
vorgängigen, diktatorischen Staatsformen. Diese Bemerkung ist
notwendig um deutlich zu machen, dass marktwirtschaftliche
Gesellschaften Überschreitungen der freien Gestaltung
wirtschaftlichen Handelns durch Kapitalkonzentration, zu große
Marktkapitalisierungen und Kartelle notwendigerweise sanktionieren
müssen. Privateigentum, Privatrecht, hohe, rechtsgeschützte,
individuelle Gestaltungsfreiheit als privatrechtliche Unternehmer
bilden somit die komplementären Begriffe zum Verständnis
westlicher Marktwirtschaften.
Wir sind es gewohnt, von Wirtschaftsordnungen, von Wirtschaftssystemen zu sprechen. Kaum ein fachfremder Intellektueller, ja sogar Ökonomen selbst sprechen in großer Zahl heute in systemischen Vokabulars, wenn es um wirtschaftliches Handeln geht. Die Verwendung solcher Begriffe, die systemische Strukturen unter- bzw. vorstellen, sind aber falsch. Sie verkennen die wirklichen Zusammenhänge und den Kern wirtschaftlicher Praxis. Zur Marktwirtschaft gehört im Kern, dass sie eben kein „System“ ist, sondern ein rahmen-geregelter Praxiszusammenhang, eher eine Matrix-, also Mehrlinienorganisation als eine disziplinarische Einlinienfunktion, um einen Vergleich aus der Betriebsorganisation zu wählen. Marktwirtschaft hat mehr auch mit Versuch und Irrtum zu tun, als vielen lieb ist und in Führungsetagen zugegeben wird; ein Verweis auf die empirische Psychologie.
Wirtschaftliche Analysen zum Markt oder zu anderen Unternehmen haben eher etwas mit fraktalen Ähnlichkeitsmustern zu tun, als mit mathematischen Modellierungen; Benchmarking war ursprünglich so als Begriff dafür bestimmt. Wenn etwa bei der Grenzkostenanalyse auf kurzfristige Veränderungen bei gleichbleibender Kostenstruktur abgezielt wird, sind Fragen nach der marktwirtschaftlichen Dynamik per se schon ausgeschlossen. Die aber zeigt sich eben darin, dass sich Produktionsstrukturen ständig ändern, paradoxerweise sogar teils schneller als die schon eng gezogen Zeithorizonte der Grenzkostenrechnung.
Zielen mathematische Modellierungen stets auf exakte Prognosen in der Richtung und Qualität wirtschaftlicher Prozesse, sind alle Fragen unternehmerischer Entscheidung eliminiert. Solche Entscheidungen, die auch nicht immer richtig ausfallen, zeigen aber, dass die Dynamik marktwirtschaftlicher Praxis eben gerade darin besteht, rechtzeitig, schnell und wirksam mit den Markt- und Wettbewerbsunsicherheiten umzugehen. Gäbe es exakte Prognosen und keine fundamentalen Unsicherheiten, bräuchte man die Marktwirtschaft nicht, wäre sie bereits schnell und nachhaltig durch die dann bessere Planwirtschaft ersetzt worden.
Marktwirtschaftliche
Praxis aber besteht eben darin, schneller auf die realen
Unsicherheiten im Markt und Wettbewerb zu reagieren und besser mit
ihnen umgehen zu können. Und auch darin, durch Ideen und
Risikobereitschaft neue Produkte und Märkte zu
erschließen.
Insofern die Neoklassik aber in allen ihren
Modellrechnungen, wissenschaftlichen Konstruktionen und Vorstellungen
allein mit bestehenden Mögflichkeiten der Produktion, mit
Ressourcen und Fixkosten, mit gegebenen Präferenzen im Konsum
bestimmter Waren und immateriellen Güter kalkuliert, beschäftigt
sie sich einzig mit Tauschmärkten und stellt die entscheidenden
Fragen zu den Möglichkeiten marktwirtschaftlicher Produktion
überhaupt nicht.
Es scheint, als würden Waren lediglich getauscht, aber nicht produziert. So kann sie natürlich auch keine „Widersprüche“, keine realen Konsequenzen marktwirtschaftlicher Produktion feststellen, gar kritisch hinterfragen. So hat die Neoklassik mit dem Dispens des Fragehorizontes marktwirtschaftlicher Produktion zugleich auch den des Dissens zwischen Individuum und Gesellschaft kassiert. Ihr homo oeconomicus ist definiert durch die Vorstellung und Behauptung, dass sich sein (Nutzen-)Interesse, bei gegebenem Wettbewerb, mit dem öffentlichen Interesse deckt. Er sei der Repräsentant individueller Freiheit, die als Staatsverfassung westlicher Gesellschaften dem einzelnen Bürger vorläuft und ihn rahmen-gebend bestimmt. Dieser vorgestellte Konnex aber ist empirisch nirgends einzusehen. Wäre es so, dass der einzelne Mensch von sich aus und in seinem Bestreben das richtige im Sinne kollektiver Wohlfahrt tut, wie sähe unsere gesellschaftliche Wirklichkeit aus? Das Gegenteil ist der Fall. Selbst der konstatierte Zuwachs gesellschaftlichen Wohlstandes verdankt sich einem in hohem Maße „egoistischen“ bzw. individualistischen Verhalten. So versteht sich auch, dass der gesellschaftliche Wohlstand rechnerisch nichts anderes ist, als die Summe aller einzeln erbrachten Leistungen einer Volkswirtschaft. Betrachtet man aber das BIP unter Verteilungsgesichtspunkten, wird klar, dass nicht nur der Wohlstand im einzelnen betrachtet recht unterschiedlich ausfällt, und die wirtschaftliche Dynamik zumal fortschreitend die materiellen Unterschiede vergrößert, sondern dass jede weitere Frage nach anderen, als den „kollektiven Präferenzen“ der Ökonomik aus diesem Horizont herausfällt und auch nicht weiter gestellt wird.
Wir werden an
anderer Stelle deutlicher eingehen auf die Vorstellung der
„vollkommene Informiertheit“ des Wirtschaftssubjekts und
was dies tatsächlich bedeutet. In der neoklassischen Ökonomik
allerdings stellt sich die Frage, ob diese Bestimmung des homo
oeconomicus als neben seiner utilitaristischen auch noch
unterstellten, epistemologischen Natur etwas einbringt? Denn wenn ein
Mensch die Chancen, die sich ihm am Arbeitsplatz wie auf den Märkten
ergeben, dort so viel wie möglich zu verdienen, hier so geizig
wie möglich zu konsumieren, ergreift, dann hat sich seine Sicht
der Dinge weitgehend erfüllt, jedenfalls, was seine materielle
Reproduktion betrifft. Welchen Zugewinn nun seine vollkommene
Informiertheit ihm zusätzlich noch sichert, die Frage ist
unbeantwortet.
Und wenn der homo vollkommen informiert ist, dann
ist es auch die Wirtschaft und damit wäre sie planbar. Und da,
wo sie planbar ist, wird ja auch geplant, wo sie berechenbar ist,
wird gerechnet, selbst in einer Marktwirtschaft. So sie aber nicht
planbar und berechenbar ist, muss wirtschaftliches Handeln schnell
und effizient, teils spontan und riskant reagieren, besonders auf die
„Unfälle“, die Krisen, Veränderungen und
Erschütterungen – von denen Keynes spricht, dass hier die
staatlichen Interventionen notwendig seien.
In Bezug auf den
Bereich der Information hat sich gezeigt, dass zentralistische
Informationsverarbeitung dezentralen Informationsprozessen auf
unterschiedlichen Informationsmärkten weit unterlegen ist. Und
wir erkennen heute, wie Informationsverarbeitung stark informelle
Züge annimmt, gleichwohl allerorts die Bemühung der
Einhegung der informellen Selbstbestimmung zunimmt.
Anmerkungen:
1 Teilnehmer
der ersten Tagung (1. bis 10. April 1947) waren unter anderem
Maurice Allais, Walter Eucken, Milton Friedman, Friedrich August von
Hayek, Frank Knight, Fritz Machlup, Ludwig von Mises, Karl Popper,
Wilhelm Röpke, George Stigler. In der Mont Pelerin Society
übernahmen Albert Hunold und v. Hayek die Führung.
Siehe
Philip Mirowski, Dieter Plehwe: The Road From Mont Pelerin. 2009,
ISBN 978-0-674-03318-4, S. 15.
Seit Gründung der MPS
erhielten bislang (Stand 2014) acht MPS-Mitglieder den von der
Schwedischen Reichsbank gestifteten Alfred-Nobel-Gedächtnispreis
für Wirtschaftswissenschaften: von Hayek (1974), Friedman
(1976), Stigler (1982), James M. Buchanan (1986), Allais (1988),
Gary Becker (1992), Ronald Coase (1991) und Vernon Smith (2002).
Das
vom MPS-Mitglied Antony Fisher 1981 gestiftete Atlas Network umfasst
nach 35 Jahren 451 „free-market organizations“ in 95
Ländern. D. Plehwe und B. Walpen gaben 2004 eine Liste von 93
Denkfabriken in direkter Beziehung zu MPS-Mitgliedern an, wobei
unter "direkter Beziehung" verstanden wird, dass
mindestens ein MPS-Mitglied in einer offiziellen Funktion tätig
ist oder/und den Think-Tank (mit)gegründet hat.
Für den
deutschsprachigen Raum nannten sie:
Aktionsgemeinschaft Soziale
Marktwirtschaft, Stiftung Marktwirtschaft, Friedrich A. von
Hayek-Gesellschaft, Friedrich-Naumann-Stiftung, Walter Eucken
Institut.
Weitere Informationen: MPS
Website.
Dieter
Plehwe u. Bernhard Walpen: Buena Vista Neoliberal? In: Klaus-Gerd
Giesen (Hrsg.): Ideologien in der Weltpolitik, VS-Verlag, 2004, S.
49–88.
Stephan
Schulmeister, Von der Aufklärung zur Gegenaufklärung, in
Die Presse, Wien am 30. August 2016.
2
Soziale Marktwirtschaft ist ein gesellschafts- und
wirtschaftspolitisches Leitbild mit dem Ziel, „auf der Basis
der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade
durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt
zu verbinden“.
Alfred Müller-Armack:
Wirtschaftsordnung und Wirtschaftspolitik. Bern 1976, S. 245
Die
Soziale Marktwirtschaft wurde im Staatsvertrag von 1990 zwischen der
Bundesrepublik und der DDR als gemeinsame Wirtschaftsordnung für
die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vereinbart.
Vertrag
über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik (Staatsvertrag) vom 18. Mai 1990,
Kapitel 1, Art. 1 Abs. 3 Vertragstext .
Siehe
auch: Otto Schlecht: Grundlagen und Perspektiven der sozialen
Marktwirtschaft. Mohr
Siebeck 1990, S. 182 ff.
3 Daniel Stedman Jones: Masters of the Universe: Hayek, Friedman, and the Birth of Neoliberal Politics, S. 40f (University Press Group 2012, ISBN 978-0-691-15157-1)
4
Die
fünf Eigenschaften sind:
U (universality / Universalität):
Die Wohlfahrtsfunktion ist für alle erdenklichen individuellen
(vollständigen und transitiven) Präferenzordnungen
geeignet.
I (independence / Unabhängigkeit): Für das
gesellschaftliche Ranking von zwei Alternativen A und B sind
ausschließlich die Präferenzen der Individuen bezüglich
dieser beiden Alternativen relevant. (Anders ausgedrückt: Will
man wissen, wie die Gesellschaft zwei Alternativen A und B bewertet,
ist es nicht nötig, die kompletten Präferenzordnungen der
Individuen zu betrachten, sondern es genügt, von jedem zu
erfragen, wie er A und B bewertet.)
M (monotonicity /
Monotonität): Wenn die Wohlfahrtsfunktion der Alternative A
gesellschaftlich den Vorzug vor B gibt, dann darf sich diese
Rangordnung nicht dadurch verändern, dass einige Individuen
ihre Präferenzordnungen so modifizieren, dass sie nunmehr A
noch besser als bislang bewerten, während gleichzeitig niemand
A schlechter als bisher bewertet.
N (non-imposition, auch citizen
sovereignty): Für sämtliche Alternativen A und B gibt es
einen Vektor von Präferenzordnungen, mit dem die Gesellschaft A
vor B präferiert. Das heißt, es gibt nichts, durch das
die Individuen gehindert wären, ihre Präferenzen auf
gesellschaftlicher Ebene zu implementieren.
D (non-dictatorship /
Nicht-Diktatur): Es gibt keinen Diktator, dessen individuelle
Präferenzordnung zugleich die gesellschaftliche Rangordnung
darstellt. Vgl.
Arrow 2008.
5 Vilfredo Pareto, Manuale di Economia Politica, Milano 1906, Seite 150
6 wobei Pareto hier nochmal differenziert utilité = Nutzen im engeren Sinn, also etwas, das tatsächlich nützt, im Gegensatz zu ofelimità = was jemand will, was aber nicht unbedingt nützlich sein muss. Drogen z. B. sind in den seltensten Fällen nützlich, aber manche Leute wollen das unbedingt.
7 In der Übersetzung self regarding vs. selfish
8
Das erste Gossensche Gesetz (auch Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen
oder Sättigungsgesetz) lautet:
„Die Größe
eines und desselben Genusses nimmt, wenn wir mit Bereitung des
Genusses ununterbrochen fortfahren, fortwährend ab, bis zuletzt
Sättigung eintritt.“
Siehe: Hermann Heinrich Gossen:
Entwickelung der Gesetze des menschlichen Verkehrs, und der daraus
fließenden Regeln für menschliches Handeln. Braunschweig
1854.
Paradebeispiel ist der Konsum von Nahrungsmitteln, bei
denen typischerweise Sättigung eintritt (und in der Folge der
Grenznutzen auch negativ werden kann). So stiftet der Genuss eines
ersten Glases Wasser durch einen Durstigen einen sehr hohen Nutzen,
wohingegen das zweite bereits einen etwas geringeren, das dritte
wiederum etwas weniger zusätzlichen Nutzen bringt und das
vierte vielleicht schon Völlegefühl oder Übelkeit
verursacht, d. h. der Grenznutzen schlägt ins Negative um. Der
Extremfall könnte soweit gehen, dass man im Wasser ertrinkt,
falls zu viel davon da ist. Und man natürlich zu lange darin
schwimmt oder unter einer "Waterboarding-Prozedur" steht.
9 Forster, John Bellamy, Brett Clark Barrett und Richard York (2009). "The Midas Effect: A Critique of Climate Change Economics". In: Development and Change 40(6), S. 1085-1097
10 Wild, Oscar (1999). Komödien. Zürich, Haffmans Verlag
11
N. Kaldor verknüpft explizit die Einkommensverteilung (gemessen
an der Lohnquote) mit der Investitionsquote, wobei die
Investitionsquote durch die autonomen Investitionsentscheidungen der
Investoren/Produzenten festgelegt wird.
Aufgrund des reinen
Kreislaufzusammenhangs muss die Lohnquote sinken, wenn die
Investitionsquote steigt bzw. steigen soll. Wird die
Investitionsquote quasi autonom durch das Investorenverhalten
festgelegt, so sorgt die Variation der Lohnquote für die
Aufrechterhaltung des Kreislaufgleichgewichts. Bei kurzfristiger
Analyse, d.h. Konstanz von Realeinkommen, Beschäftigung und
Lohnniveau, kann diese Anpassung über Preisbewegungen erklärt
werden (Umverteilungswirkung von inflationären
Multiplikatorprozessen). Verlässt man die kurzfristige Analyse
und unterstellt, dass in einer Expansionsphase die
Arbeitsproduktivität steigt, und nimmt man weiter an, dass das
Lohnniveau verzögert an die Entwicklung von
Arbeitsproduktivität und Preisniveau angepasst wird, sinkt die
Lohnquote in dieser Phase. Für eine analog aufgebaute
Kontraktionsphase gilt das Umgekehrte. Diese Umverteilungswirkungen
von Lohn-Lags sind mit heranzuziehen, wenn die in der Realität
zu beobachtenden zyklischen Schwankungen der Lohnquote erklärt
werden sollen. Für eine langfristige Analyse stellt die
Kaldor-Theorie einen Zusammenhang zwischen Verteilung und Wachstum
dar. (Gabler)
12
Hicks veröffentlichte im Jahr 1939 das sog.
Kaldor-Hicks-Kriterium, mit dem die Effizienz von
Kompensationszahlungen bei Wohlfahrtsvergleichen beschrieben
wird.
Des Weiteren trug er maßgeblich zur
Wohlfahrtsökonomik bei – er entwickelte die nach ihm
benannten Wohlfahrtsmaße: equivalent/compensating
variation/surplus. Sein Konzept des Einkommens, das auf Vorarbeiten
von Erik Robert Lindahl und Irving Fisher basiert, gilt bis heute
als theoretische Basis Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung
(Wikipedia)
13 Auf der Wohlfahrtsökonomik beruhendes, v.a. in öffentlichen Haushaltswirtschaften angewendetes Verfahren zur vergleichenden Bewertung von Objekten oder Handlungsalternativen; Cost-Benefit-Analyse, Nutzen-Kosten-Analyse, Benefit-Cost-Analyse.
14 Effizienz:
Beurteilungskriterium, mit dem sich beschreiben lässt, ob eine
Maßnahme geeignet ist, ein vorgegebenes Ziel in einer
bestimmten Art und Weise (z.B. unter Wahrung der Wirtschaftlichkeit)
zu erreichen.
Effiziente
Produktion:
Zustand, in dem es bei gegebener Ressourcenausstattung und
Technologie nicht möglich ist, von mind. einem Gut mehr und von
allen anderen Güter mind. genauso viel herzustellen
(Pareto-Optimum). Mikroökonomisch gesehen bedeutet dies, dass
die Minimalkostenkombination erfüllt ist.
Umweltökonomik:
Entscheidungskriterium, das von mehreren ökologisch gleich
wirksamen Maßnahmen diejenige auswählt, die mit den
geringsten volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist (ökonomisches
Prinzip).
Informatik:
Merkmal der Softwarequalität, v.a. auf Inanspruchnahme der
Hardware-Ressourcen (Hardware) bezogen.
Arten:
Laufzeit-Effizienz:
Ist gegeben, wenn ein Softwareprodukt möglichst geringe
Rechenzeiten im Computer verursacht (hohe Ausführungsgeschwindigkeit
der Programme).
Speicher-Effizienz:
Möglichst geringer Speicherbedarf im Arbeitsspeicher.(Gabler)
15 Vgl.: Weber, Max (1917/18). "Der Sinn der Wertfreiheit der soziologischen und ökonomischen Wissenschaften". In Logos 7, S. 40-88
16
Modellplatonismus.
Selbst Gablers Wirtschaftslexikon hat den Begriff von Hans Albert
aufgenommen.
Vgl. auch: Modellplatonismus. Der neoklassisch Stil
ökonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung. In:
Sozialwissenschaft und Gesellschaftsgstaltung. Festschrift für
Gerhard Weiser. Hrsg. von F. Karrenberg und H. Albert. Berlin:
Duncker & Humblot S. 45-76 sowie Hans Albert: Marktsoziologie
und Entscheidungslogik: zur Kritik der reinen Ökonomik.
Neuwied/Berlin 1967.
Nota
bene:
Natürlich weisen wir den Begriff Modellplatonismus, insofern er
mit der Philosophie Platons assoziiert wird, auf das Schärfste
zurück. Die Assoziation der platonischen Philosophie mit
Empirielosigkeit ist nicht nur klischeehaft, sondern auch noch
falsch.
17 Ceteris-Paribus-Klausel (c.p.); Analyse eines Zusammenhangs unter der Annahme, dass sich nur die betrachtete Variable ändert bei gleichzeitiger Konstanz aller anderen ökonomischen Variablen.
18 Sen, Amartya K. (1970). "The Impossibility of a Paretian Liberal." In: Jornal of Political Economy 78 (1), S. 152-157
zurück ...
weiter ...
Ihr Kommentar
Falls Sie Stellung nehmen, etwas ergänzen oder korrigieren möchten, können sie das hier gerne tun. Wir freuen uns über Ihre Nachricht.